Wahlempfehlung – Catch and Release
Text: Peter Baumgartner
Dass Fische aus der Gurk, flussabwärts von Brückl, wo der Abfallkübel der Chemieindustrie vergraben liegt, nicht besonders gesund sind, weiß man schon seit ein paar Jahrzehnten. Mehr oder weniger regelmäßig, fühlt sich die Kärntner Landesregierung berufen, ein kalmierendes Ausrufungszeichen ihrer Verantwortung zu setzen. Eine echte „Empfehlung“ für „kauf regional“ ist das nicht.
Wird schon irgendwann von selber besser werden, denken sich wahrscheinlich die zuständigen Stellen. Bis dahin einfach Deckel drauf. In den Fokus gerückt ist dieses „Volkswissen“ mit dem HCB-Desaster im Görtschitztal 2014. Da gab es dann kurzzeitig sogar ein amtliches VerzehrVERBOT für Fische aus der Gurk im Sinne von Gesundheitsschutz. Das setzt allerdings normalerweise eine Kennzeichnung voraus. Zum Beispiel Verbotstafeln am Ufer und entsprechende Kontrolle gefolgt von Sanktionen. Noch „gesünder“ wäre ein generelles Fischereiverbot. Nichts davon gibt es an der Gurk. Allerdings werden angeblich Fischer beim Erwerb der Fischerkarte über die Gesundheitsgefahr informiert. Damit bleiben die Einnahmen aus dem Kartenverkauf erhalten und der Fischer kann selber entscheiden. (vergiftete)Fische fangen oder nur Würmer baden. „Schwarzfischer“ gehen jedoch ein doppeltes Risiko ein… Seit geraumer Zeit spricht die Landesregierung aber gar nicht mehr von VERBOT, sondern von (Verzehr)WARNUNG – wie bei glatter Straße. „Obacht“! Könnte die Gesundheit gefährden. Das klingt weniger nach (wahlschädigender)Staatsgewalt und appelliert an die Eigenverantwortung.
„Eigenverantwortung“, das ist überhaupt die aktuelle Übersetzung für einen zunehmend handlungsunfähigen Staat. Zum Beispiel – kauf dir eine Schusswaffe, wir können dich nicht mehr schützen. Man darf jeden Dreck in das Supermarkt-Regal stellen – es muss nur „gekennzeichnet“ werden, damit Konsumenten die „Wahlmöglichkeit“ haben. Für mit Quecksilber verseuchte Fische gibt es neuerdings sogar eine Internet Rechenhilfe. So kann man selber entscheiden – ein paar Mikrogramm Quecksilber geht heute noch. Man kann und muss sogar ein Auto kaufen, das 200 km/h oder schneller fährt, aber man soll nur 100 fahren. Man darf die billigsten, chemieverseuchten Fetzen aus Fernost im Laden anbieten, aber bitte selber entscheiden, ob man sie auch anziehen möchte. Die Wirtschaft und (Agrar)Industrie darf die Umwelt (bis zum Grenzwert) vergiften – aber es hat eh jeder Zugang zur Vorsorgeuntersuchung. Es kann also jeder selber entscheiden, ob man es wissen möchte, wann und ob der Körper bereits voll mit Schadstoffen ist. Wir schreiben auf jede Ortstafel „Gesunde Gemeinde“, doch das ist kein Istzustand, sondern eine unerreichbare Vision. Wir sind so frei und autonom in unserer Entscheidungsfähigkeit. Toll! Man könnte fast zum Schluss kommen, es braucht kein Regulativ mehr. Keine Politiker, die sinnlose Gesetze schreiben und dafür sorgen, dass sie auch eingehalten werden. „Catch an Release“ könnte eine neue Wahlempfehlung werden.
Älteren Semestern wird im Zusammenhang mit Volksgesundheit noch der Begriff Physikatsarzt in Erinnerung sein. Das war in einer Zeit, als dieser umfassend gebildete Gesundheitsexperte noch eine zentrale Funktion im öffentlichen Gesundheitswesen hatte. Heute heißt Volksgesundheit „Public Health“ und der Physikus „Amtsarzt“. Seine wichtigste Funktion ist vidieren. „Ich kam, sah und vidierte“. Ein Begriff, der noch erhalten ist und für Existenzberechtigung sorgt. Der Rest ist Geschichte. Prof. Hutter, ein „Physikatsarzt“ der Neuzeit sagt, in den meisten Fällen werden seine Empfehlungen vom Public Health nicht angenommen. Das zeigt sehr deutlich, warum die Gesundheitspolitik heute da ist, wo sie nicht sein sollte. Insbesondere in der Umweltmedizin, die eng mit dem Erhalt der Lebensgrundlagen verknüpft ist, ist der Physikus abgemeldet. An seine Stelle treten das „Selbstbestimmungsrecht“ und der freie Zugang zur Fachinformation in den „sozialen“ Netzen. Die „Gesundheits-App“ wird sozusagen zum Zigarettenfilter der Chemieindustrie. Mit „eHealth“ und „mHealth“ sieht die Gesundheitspolitik schon das goldene Zeitalter am Horizont. Der Datenschutz, versprechen die KI Experten, bleibt natürlich gewährleistet. Jo eh, sieht man mittlerweile jeden Tag, dass das eine Wunschvorstellung ist.
In den Parlamenten und Regierungskonferenzen, dort, wo all die entscheidenden Fragen diskutiert und analysiert werden sollen, geht Parteiarbeit vor Sacharbeit. Und so mancher Abgeordnete fühlt sich ob der Informationsdichte „daschlogn“. Da kann es schon passieren, dass die Überschreitung der Umweltqualitätsnorm von Quecksilber in allen Kärntner Fischen einfach durch den Rost fällt. Schließlich bleibt neben den vielfältigen „Aufgaben“ auch gar keine Zeit, um mehr als eine Schlagzeile für die nächste ZIB 2 zu liefern. Die Medien liefern im Verein mit diesen erbärmlichen Zuständen das Spiegelbild. Die „Information“ der Kärntner Landesregierung, dass die Verzehrwarnung für Fische noch immer aufrecht ist, war den Medien keine Recherche und nicht sehr viel Raum wert. Für eine Mordanklage im Drogenmilieu stellte die Kleine Zeitung vergleichsweise den dreifachen Platz zur Verfügung. Auch für die Kronen Zeitung war ein Biker-Ausflug wesentlich wichtiger, als die gleichzeitig verkündete Gesundheitsgefahr durch regionale Speisefische. Ob Quecksilber, Mikroplastik, Molybdän, HCB, HCBD oder was auch immer, es gelingt der Kärntner Landesregierung perfekt, alles als ungefährlich, nicht gesundheitsschädlich und jedenfalls immer unter dem Grenzwert, darzustellen. PFAS werden erst gar nicht gesucht, weil man so schon genug Probleme hat. Die Medien sind damit sediert und die Bevölkerung lässt man „dumm sterben“.