Eine Phantomdebatte
Beitrag: Peter Baumgartner
Wissend, dass die aktuell geführte Debatte um den EU-Beitritt der Ukraine in weiter Ferne liegt, wird in den Medien munter drauf los philosophiert und dabei vergessen, dass vor der Haustür ganz reale Sonderbarkeiten ablaufen. Lang war die Erklärung von Präsidentin von der Leyen zum Erweiterungspaket 2023. Tatsächlich ist das Paket prall gefüllt mit Plänen. Nur über den geplanten Deal mit der Schweiz verliert die Präsidentin darin keine Silbe. Vorangegangen sind dem nunmehr fertigen Verhandlungsmandat der Schweiz mit der EU nämlich mehr als zwei Jahre „Geheimgespräche“ unter starker österreichischer Beteiligung. „Mauscheln“ können Österreicher bekanntlich besonders gut. Deshalb hat man ihnen seitens der EU wohl das Mandat übertragen. Was jetzt am Tisch liegt, ist für die beiden EU-Abgeordneten Schieder und Mandl, die mit der Schweiz mehr verbindet, als die Liebe zur Schokolade, ein „gelungener Neustart“ auf dem Weg zum EU-CH-Rahmenabkommen. Ganz anders sieht es die Schweizer Gewerkschaft und die führende SVP. Für sie ist das „Liberalisierungsprogramm“ schlicht inakzeptabel, und würde nach ihrer Meinung dazu führen, was bereits in ganz Europa passiert: Eine zunehmende Verarmung der Bevölkerung und die Aufgabe der direkten Demokratie. Der ÖVP-Chefverhandler Jürgen Mandl meint zwar, dass es bei dem Deal keinen Verlierer geben wird, sondern die Schweiz und die EU gewinnen werden. Das ist aber gar kein Widerspruch, denn schon jetzt gewinnt die Schweiz als Trittbrettfahrer der EU überproportional und einige EU-Steuerflüchtlinge profitieren ebenso – ganz sicher aber nicht die EU-Bürger. Das Alpenland Schweiz hat zum Beispiel die größte Flusskreuzfahrtflotte Europas unter den Fittichen, die in ihren jeweiligen Heimatländern keine Steuern zahlen. Sogar US-Schiffe tragen dankbar das Schweizer Kreuz am Heck. Umgekehrt in den USA völlig undenkbar. „Doch leider geht dieser Boom an den Beschäftigten vorbei“ (Gewerkschaft Nautilus). Zuletzt konnte die Schweizer Bevölkerung 1972 ein EU Beitritt ihrer Regierung verhindern und 2021 den Röstigraben zwischen EU und Schweiz noch vertiefen. Christoph Blocher hat damals das Spiel durchschaut und gesagt, die Schweiz will sich mit der EU verloben, hat gleichzeitig aber nicht die Absicht zu heiraten. Blocher hatte noch Prinzipien. Heutige Politiker gehen aus Kalkül auch Zweckehen ein. Dennoch, für manche Diskutanten ist sogar wieder ein Beitritt der Schweiz zur EU denkbar. Das ist zwar mindestens so nebulos wie die ukrainische Perspektive, aber nicht minder speziell. Ob die EU und die Schweiz 2024 tatsächlich wieder enger zusammenrücken werden, steht noch in den (goldenen) Sternen. Zunächst gibt es ein wasserdichtes Verhandlungsmandat für einen flexiblen „Paketansatz“ und man ist zuversichtlich, dass das Schweizer Volk an der Wahlurne „richtig“ entscheiden wird. Gesichert scheint zu sein – und das ist die Botschaft an das Wahlvolk, die Schweiz bleibt souverän, die Schweizer Interessen bleiben gewahrt und man macht aus dem Trittbrett in der EU einen Tanzboden. Im Gegenzug werden ein paar Franken mehr nach Brüssel rollen – vielleicht. Man legt in der Schweiz zum Beispiel großen Wert darauf, dass es keine Einwanderung in das Sozialsystem geben darf. Also „Ausländer“ zwar unter Schweizer Flagge schuften dürfen, aber schön brav in ihrem (prekären) System verhaftet bleiben sollen. Ob die EU-Mitglieder das alles wollen? Wurscht! Die sollen sich mit der Phantomdebatte über die Mitgliedschaft der Ukraine und Sonstige beschäftigen. Mitbestimmung? Fehlanzeige. Das machen schon die Mauschel-Experten. Hände falten – Klappe halten. (PB)