Hörst du die Regenwürmer husten?

Text: Peter Baumgartner

Hoch über Eberstein liegt der Watscher Hof der Familie Priebernig. Kärntens höchstgelegene Ideenschmiede für Natur- und Umweltschutz.
Bild: Peter Baumgartner

Unter der Überschrift Bodenschutz wird meist eine Scheindebatte geführt. Oft ist „der Boden“ nur sprichwörtlich in aller Munde – wenn er nicht gerade „wie Dreck“ behandelt wird. Wir reden ehrfürchtig von „Mutter Erde“ und mit Stolz vom Handwerk, das einen „goldenen Boden“ hat. Nach einem Bauchfleck wollen wir wieder „Boden unter den Füßen“ spüren und danach trachten, nie mehr „Grund und Boden nicht zu verlieren“. Über manches, dass dem „Fass den Boden ausschlägt“ regen wir uns auf und könnten gelegentlich vor Scham „im Boden versinken“. Stolz sind wir auf den „geschichtsträchtigen Boden“ und froh, wenn unsere Kinder mit „beiden Beinen fest am Boden stehen“.

Erhobenen Hauptes durch das Leben zu gehen, ist der oft formulierte Anspruch vieler Zeitgenossen die gerne als ehrenhaft gelten wollen. Im aufrechten Gang drehen sie ihr Angesicht jedoch gerade dann weg, wenn hingeschaut werden muss – auch und gerade beim Bodenschutz. Die Sinnesorgane sitzen nämlich im Angesicht. Hellhörig werden diese Typen nur, wenn sie ein lukratives Bodengeschäft wittern. Es nützt ein in Würde erhobener Kopf gar nichts, wenn der Mensch nicht wahrnimmt, was er wahrnehmen soll und nichts sehen und hören will.

Das HCB-Desaster im Görtschitztal, dessen 10-jähriges Gedenken wir heuer „feiern“, hat zum Beispiel gezeigt, wer erhobenen Hauptes durch das Tal geht – konsequent wegschaut und auf beiden Ohren taub ist. Zum Jubiläum wissen wir auch, wer aufrecht geht, hinschaut und anspricht was passiert ist und noch immer falsch läuft. Mehr noch. Die paar „Gallier“ haben sogar ihre Zuversicht auf Besserung nach 10 Jahren noch immer nicht verloren und wenige unverbesserliche Optimisten tragen sogar äußerst aktiv zu einer positiven Zukunft des geschundenen Tales bei.

Dr. Andreas Bohner von der HBLFA Raumberg-Gumpenstein bei seinem Vortrag am Watscher Hof in Hochfeistritz.
Bild: Peter Baumgartner

Zu diesen Zukunftshoffnungen zählt ganz sicher die Familie Priebernig am Watscher Hof in Hochfeistritz, hoch über Eberstein. Mittlerweile leben drei Generation am Hof und obwohl die Familie vom HCB-Desaster schwer getroffen und gezeichnet ist, aufgeben ist für sie keine Option. Während dem Tal täglich Menschen den Rücken kehren, bewirtschaftet die Familie Priebernig den Hof mit den steilen Wiesen und Wäldern vorbildlich. Das bäuerliche Engagement reicht sogar so weit, dass neben der Land- und Forstwirtschaft noch Zeit für öffentliche Bildungs-Veranstaltungen bleibt. Beispielsweise hat die Familie Priebernig am 4. Mai Dr. Andreas Bohner, Boden- und Vegetationsökologe an der HBLFA Raumberg-Gumpenstein, zu einer Praxiswerkstatt eingeladen. Ein Experte, dessen Beruf und Berufung es ist, die wichtigen Funktionen des Bodens zu erklären und was notwendig ist, um ihn zu schützen und zu erhalten. Immerhin hat die Europäische Union das wachsende Problem erkannt und schätzt, dass 60 bis 70 Prozent der Böden „nicht gesund“ sind. Deshalb wurde bereits Ende 2021 eine breit angelegte „EU-Bodenstrategie für 2030“ „auf den Boden gebracht“ und 2023 ein Bodenüberwachungsgesetz vorgeschlagen. Doch die Wegschauer laufen noch blind durch die Gegend.

Hoher Informationsbedarf brachte zahlreiche Teilnehmer sogar aus Slowenien auf den Watscher Hof, die mehr über gesunde und fruchtbare Böden erfahren wollten.
Bild: Peter Baumgartner

Der aus Kärnten stammende Dr. Bohner referierte in der freien Natur über die Bedeutung der Biodiversität im Grünland, wie man die Bodenqualität beurteilt und welche Pflanzen, welche Funktion sie in der Wiese haben. Am lebendigen Vortrag, der auch als Fortbildungsveranstaltung für Landwirte anerkannt ist, nahmen auch zahlreiche Landwirtinnen und Landwirte aus Slowenien teil. Der Bodenexperte Dipl.-Ing. Kurt Scheidl reiste extra aus dem Burgenland an, um an der informativen Veranstaltung teilzunehmen. Rund fünf Stunden vergingen wie im Flug beim graben, riechen, fühlen, lauschen, sehen und sogar schmecken. Ein lehrreicher Tag für alle Sinne und noch dazu in einer Bilderbuchlandschaft, wo man als Auswärtiger nicht annähernd erahnen kann, wie schwer die Umwelt dort seit Jahrzehnten geprüft wird und welchen Gefahren sie noch immer ausgesetzt ist. In Wirklichkeit ein Musterbeispiel dafür, dass der Begriff „Biodiversität“ noch lange nicht zu Ende gedacht ist. Denn wenn selbst bei größter Artenvielfalt die schädlichen Umwelteinflüsse nicht beseitigt werden, verliert die Volks-Polizze Boden ihre Schutzwirkung.

Eine der zahlreichen Asbestablagerungen im Görtschitztal mitten auf einem Acker in St. Walburgen, wo in unmittelbarer Nähe freilaufende Hühner ein „gesundes“ Leben führen dürfen. Auf dem Hinweisschild steht: Widerrechtliches Betreten wird zur Anzeige gebracht. Bereits 2015 hat GLOBAL2000 diese oberflächige Asbestablagerung angezeigt und 2023 haben besorgte Anrainer Schutzmaßnahmen eingefordert. Behördlich gibt es seit 2015 eine „vorläufige Entwarnung“ und die Ablagerung ist „nicht gefährlich“.
Bild: Peter Baumgartner

Der Boden, sagt Dr. Bohner, ist die Basis des Lebens. Er hat, wie die Haut, überlebensnotwendige Funktionen und wir sollten darauf aufpassen – wie auf unsere eigene Haut. Schulkinder lernen seit jeher den Merksatz, „Feldspat, Quarz und Glimmer, die drei vergess ich nimmer“, um sich die Gesteinsarten zu merken. Für den Boden gibt es so einen eingänglichen Merksatz leider noch nicht. Was es gibt, ist eine Karikatur über Darwins berühmte Regenwurm-Forschung, wo er erstmals die Bedeutung Regenwurmes für den Boden erkannt hat. Die Karikatur von Linley Sambourne, der sein Werk 1882 „Man is But a Worm“ genannt hat, scheidet als Merksatz nach heutigen Maßstäben wohl aus, weil es eine Fehlinterpretation ist. Ein Nützling ist der Mensch jedenfalls nicht. Eher schon ein Schädling. Auch das bekannte Kinderlied „Hörst du die Regenwürmer husten“, zeugt von weit verbreiteter Unkenntnis über biologische Zusammenhänge und scheidet daher als Lernhilfe auch aus. Regenwürmer husten nicht, weil sie keine Lunge haben. Im Lied heißt es aber auch, dass sie im dunklen Erdreich verschwinden – „Auf nimmer-nimmer-Wiedersehen“ mit Fragezeichen. Das wollen wir doch wirklich nicht hoffen, denn wenn das eine Prophezeiung ist, dann Gnade uns Gott.

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