Marmor, Stein und Eisen bricht

Ein Steinbruch ist für jeden Bürgermeister ein Herrgottswinkel
Bild: Peter Baumgartner

„Weine nicht, wenn der Regen fällt. Es gibt einen, der zu dir hält. Dam-dam, dam-dam.“ Erinnern Sie sich an den Text im Evergreen von Drafi Deutscher aus dem Jahre 1965?

Dahinter steht eine Generation, die zum alten Volkslied und zum Volksgut noch eine gewisse Nähe hatte. Drafi Deutscher und seine Generation, Jahrgang 1946, kannten sicher noch die Texte populärer Lieder aus Operetten und Walzerklängen. Kanzler Nehammer hätte damals gesagt, Treue und Liebe sind „Werte“, auf die die Menschen stolz sein können. Doch das war schon damals ein tödlicher Irrtum, wie die Erfahrung von zwei Weltkriegen gelehrt hat. Was blieb, ist bis heute die meist unerfüllte Sehnsucht nach Sicherheit, Geborgenheit, Vertrauen und Liebe. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Wenn Bürger heute von ihren Bürgermeister:innen erwarten, dass sie sich um ihre Anliegen kümmern und mit offenen Armen für sie da sind, werden sie meistens enttäuscht. „Alles, alles geht vorbei…“ – auch meine Amtszeit, denken sich die Politiker:innen wohl mehrheitlich und sorgen für die Zeit danach vor. „Treue“ hat in diesem Zusammenhang eher etwas mit Parteidisziplin zu tun, als mit Wahlversprechen. Und der sprichwörtliche goldene Ring ist die unzertrennliche Verbindung zum Investor, dessen Liebe allein zählt.

Und falls Du einmal Bürgermeister wirst, denke immer daran: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ 
Bild: Peter Baumgartner

Doch es gibt sie noch, die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Sichtbar werden sie zum Beispiel, wenn man sich das Gerangel um ortsnahen Steinbruch-Projekte anschaut. Die Regel ist, scheiß auf die Nachbarn, Anrainer und die Natur sowieso. Ein Steinbruch ist quasi der Herrgottswinkel jedes Bürgermeisters. Auch wenn bei jeder Sprengung die Steine bis auf den Balkon der Anrainer fliegen und der LKW-Verkehr die Kirchenglocken übertönt. Ein Steinbruch garantiert den Gesangverein, die Trachtengruppe und Parteispenden sowieso. Jüngstes Gegenbeispiel ist die ÖVP-Bürgermeisterin von Kappel am Krappfeld, die sich, im seit 15 Jahren andauernden Streit um die Steinbruchgenehmigung, auf die Seite der Bürger stellt. Sie befindet sich in guter Gesellschaft mit einigen weiteren Gemeindevertretern, die ebenfalls zuerst an das Gemeinwohl denken. In Leoben wagen es die Gemeindevertreter, Gutachten auf die Plausibilität zu prüfen, weil ihnen das Steinbruch-Projekt spanisch vorkommt. Gegen den Steinbruch im steirischen St. Martin bei Ligist steigen gleich drei Bürgermeister kollektiv auf die Barrikaden. In Salzburg kämpft der Bürgermeister von Faistenau seit 10 Jahren gegen den Steinbruch und für die Lebensqualität seiner Bürger. Sogar der SPÖ-Bürgermeister von St. Veit an der Glan, hat seine Gemeindevertreter gegen einen Steinbruch eingeschworen. Nicht „in Stein gemeißelt“ ist ein Steinbruch für drei weitere Bürgermeister an der steirischen Weinstraße, weil den Bürgern lieber ein Remschnigg-Naturschutzgebiet statt eines Remschnigg-Steinbruchs ist. Zwei Bürgermeister im Pustertal sind der Meinung, dass die Transporte aus dem Steinbruch ihre Bevölkerung gefährdet und kämpfen dagegen an.

„Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht“, war früher auch ein beliebter Sinnspruch für das Poesiealbum. Eine Einladung zur Eintragung galt als besonderer Vertrauens- oder Freundschaftsbeweis. Gut versperrt, wurde das Kleinod über viele Jahre beschrieben und verwahrt. Würde mir heute ein Bürgermeister sein Poesiealbum zur Eintragung geben, ich würde Goethe zitieren: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“. Doch vermutlich brauchen Bürgermeister:innen heute kein Poesiealbum mehr, weil sie auch keine echten Freunde mehr haben – mit wenigen Ausnahmen.

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