Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar

Im Jahre 2023 wird in Kärnten, nein nicht nur in Russland oder Nordkorea, sondern im Urlaubsparadies Österreichs, ein Journalist kriminalisiert, nur weil er seine Arbeit gewissenhaft gemacht hat.

Text: Peter Baumgartner.

Nicht anders als eine kulturelle Aneignung ist die Vereinnahmung von Ingeborg Bachmann durch die Stadt Klagenfurt zu verstehen. Quelle: Peter Baumgartner

Was war passiert? Whistleblower aus dem Rathaus in der Kärntner Landeshauptstadt stecken dem Journalisten Franz Miklautz Informationen über öffentlich Bedienstete, die an sich schon – egal ob rechtens oder nicht, gelinde ausgedrückt, eine zum Himmel stinkende Sauerei sind. Alles passiert über Jahre und ist teilweise sogar lange bekannt. Dennoch hält sich die öffentliche Empörung viele Jahre in Grenzen. Man ist in Kärnten einiges gewohnt. Achselzuckend wendet sich die Bevölkerung meist dem Gulasch und Bier zu. Man kann eh nichts machen. Doch dann wird es einem Journalisten zu blöd. Er verfasst einige Beiträge über die Vorkommnisse im Rathaus und die werden sogar veröffentlicht. Nun wird die Empörung groß. Nein, nicht bei den Bürgern, sondern bei den Ertappten. Sie ziehen vor Gericht. Weil, sie schließen messerscharf „nicht sein kann, was nicht sein darf“ (Christian Morgenstern). Und in Kärnten darf man Provinzoligarchen nicht einfach öffentlich angreifen – selbst wenn die Kritik stimmt. Das tut man nicht. Das sieht auch die örtliche Staatsanwaltschaft so und schwups ist der lästige Journalist kriminalisiert. Er bekommt die zweifelhafte Auszeichnung „Beschuldigter“ umgehängt. Als solcher ist er zunächst alle seine Arbeitsgrundlagen los, weil er zusammenfassend gesagt, zur Aufdeckung „geheimer Schweinereien“ beigetragen hat. Ein „Justiz-Fehler“, wie sich nur wenige Tage später herausgestellt hat. Aber da ist das Malheur schon passiert und eine Solidarisierungswelle trägt den angeklagten Journalisten Franz Miklautz durch das Land, die so auch nicht oft vorkommt. Plötzlich sind die „üblichen“ Schweinereien in Kärnten österreichweit Thema und erregen sogar über die Grenzen hinaus Aufmerksamkeit. Allerdings, thematisiert wird noch immer hauptsächlich der Angriff auf die Pressefreiheit – weniger der dieser zugrunde liegende Rathaus-Skandal, der schon über Jahre läuft. Dann geht alles sehr schnell. Binnen weniger Stunden wird der „böse“ Journalist von der Oberstaatsanwaltschaft Graz im Einvernehmen mit dem Justizministerium rehabilitiert. Man möchte wieder friedlich zur Tagesordnung übergehen. Doch die Oppositionspartei im Rathaus, selbst Teil des Problems, sieht einen Spielvorteil und hält die „Kacke am dampfen“. Erst jetzt könnte es zu einer inhaltlichen Aufarbeitung der dubiosen Vorgänge im Rathaus kommen. Die Betonung liegt aber auf „könnte“. Sicher ist es keineswegs.

Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt sorgte schon öfter für Verwunderung und hat sich jetzt durch das Vorgehen gegen einen unbescholtenen Journalisten endgültig einen zweifelhaften Ruf verschafft. Quelle: Peter Baumgartner

Zurück zu Pressefreiheit in Kärnten und in Österreich. Spätestens seit dem Klagenfurter Sündenfall der Staatsanwaltschaft fragt man sich, worin unterscheidet sich die Pressefreiheit in Kärnten zum Beispiel von der ungarischen Pressefreiheit? Faktisch gar nicht, lautet die erschütternde Erkenntnis. Nur dass Kärnten im Verbund mit Österreich mitschwimmt und im RSF-Ranking auf dem 29. Platz liegt. Ungarn liegt auf dem 72. Platz – nur eine Gruppe hinter Österreichs, weil die Probleme in Ungarn „erkennbarer“ sind. Soll heißen, Orban schert sich nicht um die öffentliche Wirksamkeit seiner (Medien)Politik. Österreich ist da (noch) etwas zurückhaltender. Nicht so in Kärnten, da nimmt man jetzt den Orban-Kurs ein und klagt Journalisten kurzerhand, wenn sie „geheime“ Missstände aufzeigen. Auf gut kärntnerisch heißt das, „do moch ma oanfoch a klans SLAPPerl“. Also „irregeleitete“ Medienhandwerker werden „strategisch geklagt“, damit sie wieder die „Goschn halten und Hände falten“. Die für Werte und Transparenz zuständige Vizepräsidentin der Kommission, Věra Jourová, hat zwar schon 2022 erklärt: „Wir haben versprochen, Journalistinnen und Journalisten sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger besser gegen diejenigen zu verteidigen, die sie zum Schweigen bringen wollen.“ Mit neuen Vorschriften wollte sie diesem Versprechen zum Durchbruch verhelfen denn, „in einer Demokratie dürfen Reichtum und Macht nie über die Wahrheit bestimmen.“ Ein frommer Wunsch. Wie so oft, sind Ankündigungen und Versprechungen aus der EU das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen. Denn heute, ein Jahr nach dem Versprechen der Vizepräsidentin passiert in Kärnten genau das: Ein Journalist wird vom Provinzadel vor das Gericht gezerrt, weil er sich der Wahrheit verpflichtet fühlt. Politik und Justiz spielten gemeinsam das schaurige Spiel wie damals, als im selben Haus eine „Unrechtsjustiz“ Männer und Frauen zum Tode verurteilt hat, nur weil sie eine eigene Meinung vertreten haben. Noch heute erinnert ein Mahnmal vor dem Eingang des Gerichts an diese Grausamkeiten. Aber anscheinend gehen die Juristen in Kärnten achtlos an diesem Mahnmal vorbei und betreiben wieder Unrechtsjustiz – nur dass sie (noch) kein Todesurteil sprechen, sonst würde zumindest der Name des Journalisten Franz Miklautz auch schon auf der Gedenktafel stehen. Sein Vergehen hat Bertolt Brecht so beschrieben: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“. In Österreich „kostet“ diese Einstellung „nur“ den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ruin. Vielleicht hat man aber das Justizgebäude in Klagenfurt seinerzeit absichtlich in unmittelbarer Umgebung des Siechenhauses gebaut, weil auch die Juristerei unheilbar und infektiös ist…

Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Wer danach lebt, riskiert in Kärnten viel. Quelle: Peter Baumgartner

In ihrer unvergleichlichen Dankesrede anlässlich einer Preisverleihung spricht Ingeborg Bachmann 1959 davon, dass erst wenn der Schmerz furchtbar wird, uns „die Augen aufgehen“. Aber so weit sind wir noch nicht. Es scheint, die Bevölkerung ist unendlich leidensfähig. Wenn die vor fünfzig Jahren verstorbene Schriftstellerin dieser Tage in Klagenfurt wieder für prominente Aufmärsche und Sonntagsreden sorgen wird, klingt es wie eine kulturelle Aneignung. Ausgerechnet eine Stadt, deren Politik und Justiz 2023 noch immer die Öffentlichkeit scheut wie der Teufel das Weihwasser, Journalisten kriminalisiert werden, weil sie ihre Arbeit machen und RepräsentantInnen sich aufführen wie wildgewordene Rüpel, will eine Künstlerin wie Ingeborg Bachmann ehren. Ausgerechnet eine Künstlerin deren Motto lautete: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar! Sie hat es nicht verdient, dass auch nur einer dieser Herrschaften ihren Namen in den Mund nimmt und ihre Person als Aushängeschild für eine verkommene Politik nützt. „Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten“, glaubte Ingeborg Bachmann. Klagenfurt, ausgerechnet ihre Heimatstadt, ist das herausragende Beispiel für das Gegenteil.

Haben unsere Vorfahren in Klagenfurt die Justiz, die Politik, die Verwaltung und die Siechenanstalt absichtlich in enge räumliche Nähe gebracht? Wir wissen es nicht, aber es würde einen Sinn ergeben… Quelle: Peter Baumgartner

Heute, also ein paar Tage nach der Rehabilitierung des verunglimpften Journalisten Franz Miklautz, bleiben noch viele Fragen offen und werden mutmaßlich wie üblich, früher oder später von anderen Ereignissen überrollt und schließlich vergessen. Die veröffentlichte Erklärung lautete bereits, die Staatsanwaltschaft hat geirrt – Punkt. Und was jetzt? Was sind die Konsequenzen? Hat sich diese Staatsanwaltschaft schon öfter geirrt? Die Vermutung liegt nahe, denn „kein Anfangsverdacht“ ist eine Formel, die man aus dem Hause auffallend oft hört. Welche Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass sie sich nicht wieder „irrt“? Darauf gibt es keine Antworten. Im Gegenteil. Die Whistleblower werden weiterhin verfolgt. Als ob das mittelalterliche Recht, wonach der Überbringer der schlechten Botschaft und nicht der Verursacher gehängt wird, in Kärnten noch immer Gültigkeit hätte. Die Ausrede, das Damoklesschwert heißt „Amtsgeheimnis“. Aber die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Was geschieht mit den involvierten Politikern und Beamten, die sich jetzt wortgewaltig herausreden und ablenken wollen? Sie haben das Amt missbraucht, das Ansehen des Landes beschädigt und einen unbescholtenen Bürger diskreditiert. Was ist ihre Verantwortung? Keine Antwort! Derweil werden unbescholtener Bürger in Österreich weiterhin zum Schweigen gebracht. Die internationale NGO CASE, die es sich zum Ziel gesetzt hat, SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) zu beenden berichtet, dass Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten eine höhere Rate an SLAPPs zu verzeichnen hat. Schlussendlich ist es symptomatisch, dass ausgerechnet Kärnten ein maßgeblicher Blockierer des überfälligen Informationsfreiheitsgesetzes ist und in unseliger Koalition mit anderen Akteuren seit Jahren alles daransetzt, um seine Bürger „blöd sterben“ zu lassen. (PB)


Zitat: Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar (Ingeborg Bachmann)

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