Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald

Text: Peter Baumgartner

Bild: Stefan Baumgartner

Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald, nachdem sie von ihren armen Eltern vor die Tür gesetzt wurden. In die Gegenwart übersetzt würde man heute sage, das sind zwei von diesen 353.000 Kindern, die in Österreich von Armut betroffen sind und jetzt irgendwo in den Wäldern herumirren. Wahnsinn! Die Wälder in Österreich könnten tatsächlich voll von vertriebenen Kindern sein. Aber nein, für eine warme Mahlzeit müssen die österreichischen Kinder heute nicht zur Hexe in den Wald. Fortgehen müssen dennoch viele. Anders als im Knusperhäuschen, gibt es für sie dann auswärts zunächst zwar keinen Job oder eine Mast, dafür aber eine warme Mahlzeit und sie können jeden Tag wieder zu Hause schlafen – sofern sie nicht von Angstträumen wachgehalten werden. Das ist doch 200 Jahre nach der überlieferten Geschichte von Hänsel und Gretel ein gesellschaftlicher Fortschritt – oder nicht? Was sind schon 200 Jahre in der Menschheitsgeschichte? Ein Wimpernschlag. Heute wird Kindern sogar schon eine „Perspektive gegeben“ und selbst das Parlament mit allen „Stakeholdern“ beschäftigt sich extra mit dem Kindeswohl. Fast hat man den Eindruck, ein regelrechter Wettstreit um das beste Wohlfühlpaket für Kinder ist ausgebrochen. „Initiativen“ auf die man stolz ist, rauschen durch den Blätterwald. Ein „Nationaler Aktionsplan“ (NAP) ist schon längst auf Schiene und der „European Child Guarantee“-Bericht hat schon Buchformat. Allein, nicht alle wollen den versprochenen „Chancen“ für Kinder Glauben schenken. Barbara Blaha ortet zum Beispiel einen Systemfehler in Österreich und unterstellt gar Absicht, weil Armut ein praktisches Disziplinierungsinstrument sein könnte. Da ist was dran. Warum sonst gibt es so etwas wie eine manifestierte Armutsschicht im reichen Österreich? Aber vielleicht gibt die politische Eitelkeit und der unbändige Drang nach Selbstdarstellung der Sache einen neuen Schub. Gut wär`s, denn vermutlich hat das Knusperhäuschen mittlerweile auch schon eine PV-Anlage und man kann die Hexe nicht mal mehr in den Ofen schupfen…

In der EU insgesamt war 2022 das Risiko von Armut oder sozialer Ausgrenzung für Haushalte mit unterhaltsberechtigten Kindern etwas höher als für Haushalte ohne Kinder.

Mehr als ein Fünftel (22,4 %) der Menschen, die in Haushalten mit unterhaltsberechtigten Kindern in der EU lebten, waren von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, was etwas höher war als der entsprechende Anteil bei Haushalten ohne unterhaltsberechtigte Kinder (20,8 %). Diese Quoten waren jedoch in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Bei Personen, die in Haushalten mit unterhaltsberechtigten Kindern leben, reichte die Quote von Spitzenwerten von 36,0 % in Rumänien, 30,7 % in Bulgarien und 29,2 % in Spanien bis hin zu 11,7 % in Dänemark, 11,3 % in Tschechien und 8,9 % in Slowenien. Bei den Haushalten ohne unterhaltsberechtigte Kinder schwankten die Quoten zwischen 34,5 % in Estland, 33,8 % in Bulgarien und 33,4 % in Lettland bis zu 14,5 % in Luxemburg, 12,3 % in Tschechien und 11,4 % in der Slowakei. In Österreich, wo sich die Medien über Orbans Selbstbeweihräucherung lustig machen, geht es Haushalten mit Kindern anscheinend schlechter als in Ungarn. Aber vielleicht liegt das daran, dass bei uns Kinder als „wertvollstes Gut“ (LH Peter Kaiser) gesehen werden. „Investitionen“ in Kindern bringen „Nutzen“. Kinder sind quasi gut verzinste Aktien, sagt Kaiser. Nur, Aktien können an Wert verlieren. Man kann sie „abstoßen“ oder einfach im Depot liegen lassen. Und man kann damit handeln – sogar mit Teilen davon. Damit schließt sich der Kreis und manche gesellschaftliche Realität wird erklärbarer: Alles wird teurer, textet Georg Kreisler 1968, nur der Mensch ist nach wie vor nichts wert. 40 Schilling – samt den Knochen – chemisch gesprochen. (PB)