Lupenreine Demokraten

Text: Peter Baumgartner

Nach dem Tod ihres Ehemannes durfte Julia Nawalnaja vor dem Europäischen Parlament sprechen und ihre Botschaft der Welt vortragen. Die Uhr im Saal zeigt 5 Minuten vor 12 für die Demokratie.  Screenshot/28.2.2024 Straßburg

Der Tod des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny, veranlasst das Europäische Parlament zu einer eigens einberufenen Aussprache mit persönlicher Beteiligung der Ehefrau Julia Nawalnaja.

Große Bühne für Julia Nawalnaja im Europäischen Parlament. Empfangen von Präsidentin Roberta Metsola, durfte sie vor nahezu vollständig versammelter Mannschaft, ausführlich über den Kampf ihres Mannes, des verstorbenen Korruptionsbekämpfers Alexej Nawalny, berichten und ihrerseits Forderungen an die westliche Staatengemeinschaft stellen. Die Präsidentin und die Abgeordneten überboten sich förmlich in ihrer Beteuerung, jederzeit gegen Korruption eintreten zu wollen und die Demokratie zu verteidigen. „Wir alle sind Demokraten“ und auch der österreichische ÖVP-Abgeordnete Lukas Mandl verurteilte Putin scharf und honorierte überschwänglich Julia Nawalnajas Engagement. Es war eine machtvolle Demonstration und ein uneingeschränktes Bekenntnis zum europäischen Demokratieverständnis.

Thierry Breton, der Vater des seit 13 Jahren strafrechtlich verfolgten Journalisten Julian Assange, durfte schweigend in der letzten Reihe sitzen und der Aussprache eines stark ausgedünnten Plenums folgen. Screenshot/28.2.2024 Straßburg

Unmittelbar darauf folgte bei der Aussprache zur möglichen Auslieferung von Julian Assange aus GB in die USA genau das Gegenteil. Der Vater von Assange musste stillschweigend in den hinteren Rängen dem demokratiepolitischen Trauerspiel folgen – und er tat dies mit großer Geduld. Zwar gab es auch ein paar Rednerinnen die daran erinnerten, dass Assange genau wie Nawalny, gegen Korruption und für Demokratie gekämpft hat. Vor leeren Rängen und in Abwesenheit Österreichs, blieb am Ende allerdings nur die Feststellung des Kommissars Thierry Breton übrig: Der Fall Assange ist Sache der Gerichte, die EU wird sich da nicht einmischen. Nur der deutsche Abgeordnete Martin Sonneborn brachte das demokratiepolitische Trauerspiel auf den Punkt: „In Wahrheit geht gerade die Freiheit der EU in einer britischen 6 m2-Zelle zugrunde“. Europas Demokratieverständnis zeichnet sich durch eine „Geopolitische Demokratie“ aus. Insbesondere in Österreich entscheidet die europäische „Wertegemeinschaft“ situationselastisch, wo und wann Demokratie, Menschenrechte und Pressefreiheit erlaubt werden. Die EU und Österreich entscheiden individuell, wer in den Genuss demokratischer Rechte kommen darf. Das zeigt sich im Vergleich Nawalny/Assange ganz deutlich.