Wahlbeteiligung

Keine Frage. Die Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl war, trotz Bitten und Betteln vom Bundespräsidenten abwärts, wieder „unterm Hund“. Optimistische Erwartungen wurden weit verfehlt. Nur fünfzig Prozent und vielfach sogar noch dramatisch weniger, wie man in Kroatien sehen konnte, entschieden sich dazu, ihre demokratische Mitbestimmung nicht wahrzunehmen.

Text: Peter Baumgartner

Es gibt Staaten, wo öffentlich auf die Demokratie geschissen wird. Und es gibt Staaten wie Österreich, wo das noch diskret gemacht wird. Beides stinkt zum Himmel.  Bild: Peter Baumgartner

Zieht man davon noch bestimmte Gruppen wie Alkoholiker, Süchtige, Besachwaltete, Analphabeten oder Leute, die nicht sinnerfassend lesen können ab, dann könnte es einem tatsächlich angst und bange werden. Warum wählen, fragt sich offensichtlich ein großer Teil der Bevölkerung. „Es laft eh“, sagen die, die grundsätzlich positiv denken und mit allem zufrieden sind. „Die machen eh, was sie wollen“, entspricht eher der Einstellung von EU-Skeptikern und Bürger ohne jede Illusion erkennen gar keinen Sinn in der Wahlteilnahme. Wer, warum zu welcher Gruppe zählt, ist wohl mehr als eine wissenschaftliche Studie wert. Aber selbst wissenschaftlich wird es schwer nachweisbar sein, ob beispielsweise Frust wahlfördernd oder hemmend ist. Doch der Wähler hat angeblich immer Recht. Er oder sie hat es aber auch nicht gerade leicht. Geht man nicht zur Wahl, wird man zumindest als undemokratisch verurteilt. Geht man zur Wahl, heißt es aus der Sicht der Medien „Österreichs rechter Sündenfall“. Für die Wahlverlierer hat man „unverständlich“ oder „unlogisch“ gewählt und für die blamierten Wahlforscher ist man „leider unberechenbar“ oder „zu mobil“. Wie man es macht, es ist sowieso verkehrt. Anderseits ist es den Politikern eh egal. 21 oder 70 Prozent, was sagt das schon aus? Schaut man sich die Reaktionen der Parteien nach der Wahl an, wird man unvermeidbar an volksdemokratische Zustände erinnert: „Die Partei, die Partei die hat immer Recht, Genossen es bleibt dabei. Denn wer für das Recht kämpft hat immer recht, gegen Lügen und Ausbeuterei…“ In der Stunde der Niederlage scheut keine Partei davor zurück, diese kommunistische Hymne mit unterschiedlichem Text anzustimmen. „Was wir sind, sind wir durch sie“ (die Partei). Für eine „demokratische Legitimations-Debatte“ ist da kein Platz.

Copyright: Parlamentsdirektion/Pia Wiesböck

Ein Beispiel, wie sehr die Parteien mit sich selbst beschäftigt sind: Im mehrheitlich blau eingefärbten Kärnten, hat es die Bezirksstadt St. Veit an der Glan geschafft, eine rote Insel zu bleiben. 9.409 Wahlberechtigte hat die Stadt, doch nur 4.330, also weniger als die Hälfte nahm vom Wahlrecht Gebrauch. Äußere Umstände, wie Hagel, Blitz und Donnerwetter, hatten keinen Einfluss. Auch eine plötzliche Grippewelle oder Sportveranstaltung kann als Entschuldigung ausgeschlossen werden. Die Leute blieben einfach weg. Doch die SPÖ ging mit 1.550 Stimmen und hervorragenden 36,37 Prozent als Sieger vom Feld. 1.550 von 9.409 ergaben die demokratische Mehrheit. Martin Kulmer, der „erfolgreiche“ Bürgermeister, erklärte den „Sieg“ stolz mit einer „sehr präsenten Partei, die immer zusammensteht und gute Arbeitet leistet“. Kein Funken von mea culpa oder gar blankes Entsetzen über das desaströse Ergebnis.

Neben der flächendeckenden Ignoranz gegenüber niedrigen Wahlbeteiligungen, gibt es in diesem Zusammenhang noch einen Aspekt der weitgehend ignoriert wird, aber nicht minder Demokratie gefährdend ist. Die Zahl der Nicht-Staatsbürger bzw. nicht wahlberechtigten Mitbürger, steigt dramatisch. Eva Zeglovits (IFES) sagt, in Wien ist beispielsweise fast jede zweite Person unter 30 Jahren nicht wahlberechtigt. Das hat weitreichende Folgen, bis hin zum Gefühl der Entmachtung – in einer Demokratie wohlgemerkt! Vor diesem Hintergrund eine „Wertedebatte“ vom Zaun zu brechen, wie es die ÖVP gemacht hat, ist nur noch lächerlich. „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger – und alle die hier leben“, ist eine Standard Grußformel des Bundespräsidenten, der damit zum Ausdruck bringen will, dass er alle Mitbürger gleichermaßen vertritt. Als Hüter der Wahlgesetze weiß er natürlich, dass er den eigenen Ansprüchen nicht folgen kann. Eine der Konsequenzen daraus konnten wir bei der EU-Wahl in Deutschland sehen, wo die Türkenpartei DAVA (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch) auf Anhieb 148.000 Stimmen erreichte. Damit hat sie bereits zahlreiche Kleinparteien weit hinter sich gelassen. In Wien sitzt die „Türkenpartei“ SÖZ (Soziales Österreich der Zukunft) bereits in mehreren Bezirksvertretungen. Was das für die Mehrheitsbevölkerung heißt, hat man bei Demonstrationen auch schon live erlebt.

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Politiker versuchen unermüdlich mit Studien und blumigen Worten die miese Wahlbeteiligung zu relativieren. Kein Wunder, für manche Parteien (siehe St. Veit/Glan) ist eine geringe Wahlbeteiligung sogar ein großer Vorteil. Natürlich ist eine hohe Wahlbeteiligung allein noch nicht ausschlaggebend für eine funktionierende Demokratie, doch die Realität zeigt, dass auch andere wichtige Faktoren, wie Vertrauen in Politik, Institutionen und Medien, im Sinkflug begriffen sind. Die Journalistin Elisabeth von Thadden, aus der Familie der bekannten Widerstandskämpferin, hat geschrieben, wählen allein reicht nicht mehr. Es braucht mehr neue Ideen für eine demokratische Gesellschaft. Zusammenfassend könnte man zum Schluss kommen und glauben, Politiker haben längst erkannt, dass der Karren bis zur Speiche im Dreck steckt und der Zug abgefahren ist. Daher rührt ihre (un)logische Reaktion darauf, dass die Arbeit vorbei am demokratischen Diskurs auf „informeller Ebene“ und in vernetzten Kreisen stattfindet. Neue und starke Ideen für die Demokratie kommen da nicht vor. Das Problem ist also nicht, dass die Bürger Politiker haben, die sie verdienen, sondern dass Politiker die Bürger dort haben, wo sie sie haben wollen – als schweigende und taube Masse von lauter Einzelpersonen, die mit der ganzen Sache nichts zu tun haben will. Die Rhizome der funktionierenden Gesellschaft sind schwer geschädigt. Es braucht neben der ökologischen Renaturierung auch dringend ein Gesetz zur Renaturierung der Politik.

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