Klimaneutral.abnormal.egal.

Text & Bilder: Peter Baumgartner

Bürgerbeteiligung bei der Diskussion zur Klimaneutralität ist ein wenig wie humaner Strafvollzug. Man darf sich die Strafe selber aussuchen.

Der Versuch einer Komparation zum Begriff Klimaneutralität zeigt, man kann die Steigerungsform nach Belieben anwenden, weil noch niemand den Beweis antreten musste, tatsächlich klimaneutral zu sein. Das haben wir schon als Schulkinder gehört: „Mein Papa ist viel stärker als deiner“. Sind jemals zwei Väter in den Ring gestiegen, um den Beweis für die Behauptung ihrer Sprösslinge anzutreten? Ich glaube nicht. Mit der Klimaneutralität ist es ähnlich. Man erweckt den Eindruck klimaneutral zu sein (oder zu werden), aber mit den Beweisen ist es dann so eine Sache…

Seit 2007 unterstützt der Klima- und Energiefonds den Aufbau von Klima- und Energie-Modellregionen in Österreich. Derzeit gibt es 124 Modellregionen in 1134 Gemeinden und es werden laufend mehr. Die Ziele sind neben einer Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit, Maßnahmen im Bereich Energie und Mobilität zu setzen. Übergeordnetes Ziel für Österreich, ist die Klimaneutralität-2040. Seit der Gründung hat der Klima-und Energiefonds mit 2,4 Mrd. Euro Steuergeld mehr als 300.000 Projekte auf dem Weg zum Ziel in Österreich gefördert. 433 Mio. Euro betrug das Förderbudget 2022. Auch St. Veit ist nach beträchtlichen Vorleistungen bereits seit 2015 eine Klima- und Energie Modellregion (KEM) und Nutznießer des Fördertopfs. Unter der Überschrift „Sonnenstadt St. Veit“ wurde schon in den 1990er Jahren kräftig in die Klimaneutralität der Stadt investiert. E-Carsharing („Twicy“), e-bikes, PV-Anlagen, Ausstellung „Erlebnis Energie“ und LED Umrüstung der Straßenbeleuchtung etc., gingen einher mit einer einschlägigen Industrieansiedlung, die zu den PV-Pionieren in Österreich zählt. Für sie wurde die Glan über Nacht zum Klondike River. Ende 2014 konnten 900 durchschnittliche Haushalte mit Strom aus erneuerbarer Energie versorgt werden. St. Veit rühmte sich stolz, Österreichs größter Produzent von Photovoltaik-Strom zu sein. Außerdem waren schon 70 Prozent der Häuser an das örtliche Fernwärme-Netz angeschlossen. Damals hatte St. Veit 5.813 Haushalte mit 12.524 Einwohnern und Bürgermeister Gerhard Mock verkündete seine Vision von einer energieautarken Stadt im Jahre 2020. Im Jahre 2022, da war schon Martin Kulmer Bürgermeister, verfügten 1500 von 6400 Haushalten über Sonnenstrom und 60 Prozent wurden mit Fernwärme versorgt. Qualmende Schlote gibt es in St. Veit dennoch mehr als genug. Manche Fördernehmer scheinen auf Nummer Sicher gehen zu wollen und trennen sich trotz PV-Anlage am Dach nicht von ihrem alten Verbrenner im Keller.

Frage an Radio Jerewan: Ist es sinnvoll, wenn ich auf erneuerbare Energie umsteige? Antwort: Im Prinzip ja – wenn die Sonne der Kelag keine Rechnung schickt.

Am 13. September 2023 lud St. Veit zur Auftakt- und Informationsveranstaltung zum Klimaneutralitätsfahrplan. Auch dieses Projekt („Leuchttürme für resiliente Städte 2040“) wurde vom Klimafonds gefördert (79.990 Euro). Damit sollte neuer Schwung in die 2040-Vision gebracht werden. Diesmal waren die Bürgerinnen der Stadt eingeladen, ihre Ideen einzubringen und am Gelingen beizutragen. Nach offiziellen Angaben sind mehr als 100 Personen der Einladung gefolgt. Mit „Die Stadt St. Veit an der Glan hat viel Verkehr“, eröffnete Bürgermeister Martin Kulmer die Veranstaltung. Besonders der Durchzugs- und Schwerverkehr beschäftigt das Stadtoberhaupt über Gebühr.  Deshalb möchte St. Veit/Glan mit gutem Beispiel vorangehen und ein Leuchtturm für andere Städte und Gemeinden sein. Ein ambitioniertes Ziel, wenn man bedenkt, welche Zielsetzungen bereits versäumt wurden oder schon lange in der Warteschleife hängen.

Hinsichtlich der Mobilität gibt es schon über viele Jahre „Vorarbeit“ durch die Stadtregierung. Der Verkehrspapst Hermann Knoflacher höchstpersönlich hat sich mehrfach um den Verkehr in St. Veit gekümmert. Erstmals hat er 1971 und später 1989 entsprechende Vorschläge gemacht, was sich in der Stadt ändern muss. 2019 waren die TU-Wien-Mobilitätsexperten wieder vor Ort und verschriftlichten den, ihrer Meinung nach, notwendigen Handlungsbedarf. Kulmer, damals noch Vizebürgermeister, meinte, „Die Ergebnisse sind gut und wichtig. Sie werden uns die nächsten Jahre und Jahrzehnte beschäftigen.“ Seither pulsiert und brummt der Verkehr in der Stadt mehr denn je. Inzwischen hat die KEM-Nachbargemeinde Liebenfels – interkommunaler Zusammenarbeit zum Trotz, die Ansiedlung von „Europas größtem PV-Anlagen-Werk“ im Dorf angekündigt. St. Veit würde davon auch profitieren – vom Durchzugsverkehr. Zum Glück ist diese Vision in Konkurs gegangen, aber die Entwicklung ist dadurch wahrscheinlich nur verzögert. Dennoch wächst der Stau vor den Bahnübergängen. Wobei es nur eine Frage der Zeit ist, wann beim unbeschrankten Bahnübergang wieder eine Tragödie passiert. Die Feinstaubmessung in der „Sonnenstadt St. Veit“ hat man angesichts der Verkehrsbelastung vorsorglich gleich verräumt. Nach dem Motto, was ich nicht weiß… Kleinkinder werfen bekanntlich die Hände schützend vor die Augen, weil sie glauben, dass sie das Böse dann nicht sehen kann.

Bürgermeister Martin Kulmer hat die Staffel vom Vorgänger Gerhard Mock übernommen – mit zeitlich angepasster Zielsetzung. 2040 statt 2020.

Wie bereits festgestellt, verfügt St. Veit schon seit vielen Jahren über ein Fernwärmenetz. Angeblich soll es sogar das dichteste Fernwärmenetz in Europa sein. Anfänglich galt es auch als besonders fortschrittlich und umweltfreundlich. Doch inzwischen ist die Fernwärmeerzeugung ein Produkt der Müllverbrennung. Die Anlage ist im allgemeinen Sprachgebrauch noch immer „nur“ eine sogenannte „Mitverbrennungsanlage“ die keinen Müll, sondern „Ersatzbrennstoffe“ (EBS) verheizt. Und was oben am Kamin herauskommt, belastet die Stadt eh nur gering, weil der Kamin so hoch ist, dass die Randgemeinden auch etwas davon haben. Inzwischen geht das Spiel so weit, dass der ursprüngliche Zweck der Energiegewinnung zur Nebensache und das Müllgeschäft zur Hauptsache wird. Und dann sind da noch die Heizkosten für die „umweltfreundliche“ Wärme. Wir erzeugen sie vor der Haustür, liefern den Brennstoff, schlucken den Dreck – und bezahlen dennoch den Welthandelspreis.

Der Stau vor den geschlossenen Bahnübergängen wächst. Wahrscheinlich ist der Klimawandel schuld…

Ob Kulmers 2040-Vision so endet wie Mocks 2020-Vision, wird man sehen. Die großen Fragen sind allerdings: Wollen wir diese Klimaneutralität überhaupt? Sollten wir es wollen und sind wir uns der Folgen bewusst? Wie es scheint, werden die Fragen zunehmend enthusiastisch mit Ja beantwortet. Damit ist gar nicht so sehr der Zustand freudiger Erregung der Grünen gemeint, die ihrer Klimagöttin Eleonore bedingungslos nacheifern. Vielmehr trägt der mediale Hype Früchte und vernebelt den Blick auf das Ganze. Es könnte aber auch sein, dass der normale Bürger gar keine Wahlfreiheit (mehr) hat. Zahlen oder mit den Folgen des Klimawandels leben. Ist das die Zukunftsperspektive der Normalbürger? Was hilft nachhaltiger – Resilienz oder Geld? Oder wird gar nur beides im Übermaß ein halbwegs erträgliches Leben ermöglichen? Das würde zumindest erklären warum die, die es können, sich dreist die Taschen anfüllen. Immer mehr Bürger kommen sich jedoch vor wie der blutüberströmte Boxer in der Ringecke, dem sein Trainer eintrichtert, dass er den aussichtslosen Kampf auf jeden Fall gewinnen wird. Von wegen, die Sonne schickt keine Rechnung!

PV am Dach, Kohle im Keller. Der kluge Bürger baut vor.

An dieser Stelle beginnt die allseits bekannte Diskussion darüber, dass zwei Experten drei Meinungen vertreten. Dieser Diskussion wollen wir uns nicht anschließen und stattdessen lieber etwas auf das Bauchgefühl hören: Zwischen Wollen und Tun liegt offensichtlich ein tiefer Graben. Die zahlreich anwesenden Teilnehmer bei der Auftaktveranstaltung zur Klimaneutralität-2040 zum Beispiel, haben überzeugend für die 2040-Vision gestimmt und sind dennoch mehrheitlich mit dem PKW angereist. Wobei der E-PKW Anteil bekanntlich noch sehr gering ist. Wichtig ist, wird bei den „Projekten“ immer gesagt, dass alles zielgerichtet, faktenbasiert und messbar abläuft. Dennoch ist die 2020-Vision im Sande verlaufen. TINA! (there is no alternative), ruft die Klimagenossenschaft. Setzt Duftnoten – und macht weiter wie bisher.

Gemessen wird der Feinstaub in St. Veit schon lange nicht mehr. Man weiß eh, was da ist.

Das örtliche Entwicklungskonzept, bekanntlich das wichtigste Planungsdokument einer Gemeinde, stammt in St. Veit aus dem Jahre 2014. Es wurde also in einer Zeit verfasst, als die Vision-2020 noch Dogma war. Dementsprechend ambitioniert waren teilweise die verschriftlichten Pläne der Stadt. Verkehrsreduktion war zum Beispiel schon damals ein wichtiges Thema. Beinahe 10 Jahre nach der Veröffentlichung des ÖEK ist die Bilanz überschaubar. Aber vielleicht kommt man ob der vielen „Projekte“, bei denen schöne Bilder im Vordergrund stehen, nicht zum Abarbeiten der To-do-Liste. Vor dem Hintergrund der Bodenversiegelung-ist-pfui Debatte, wird die Nutzung von sogenannten Brachflächen in der Raumordnung und Betriebsansiedlungspolitik zunehmend wichtiger. Nicht (mehr) genutzte Industrieflächen sollen vorrangig einer neuen Nutzung zugeführt werden, bevor wieder auf der grünen Wiese gebaut wird. Was auf den ersten Blick eine durchaus sinnvolle Maßnahme ist, entpuppt sich auf dem zweiten Blick als „Verewigung von Altlasten“ mit allen Konsequenzen und öffnen Tür und Tor für Grundstücksspekulationen. Kontaminierte Böden sollten nämlich vordringlich so saniert werden, dass sie danach wieder vielfältig genutzt werden können. Dafür gibt es ein Altlastensanierungsgesetz. Wenn man Altlasten stattdessen „überbaut“ und das dann als Beitrag zur CO2-Kompensation verkauft, ist es Rosstäuscherei.

Ungeachtet des fortgeschrittenen Ausbaus von erneuerbarer Energie in St. Veit.
Es gibt noch viel zu tun.

Optimistisch könnte man am Ende der Betrachtung anmerken, dass es viele engagierte Entscheidungsträger und Mitstreiter gibt, die ehrliches Bemühen nicht nur zum Spaß vor sich hertragen. Vielleicht nicht genug, aber viele Leute, auch in St. Veit, wollen Teil der Lösung und nicht bloß Meckerer auf dem Balkon sein, die alles besser wissen. Ihnen gilt es Vertrauen zu schenken und dort wo es möglich ist, unterstützend zu wirken. Leider zählt das persönliche Engagement der Bevölkerung nicht gerade zu deren Stärke. Deshalb kann man die Bürgerbeteiligung bei der vergangenen Veranstaltung nicht hoch genug einschätzen. In diesem Fall war sogar das Steuergeld gut investiert. 

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