Ikonische Bilder

Text: Peter Baumgartner

Man sagt, ein Bild sagt mehr als tausend Worte, weil manche Bilder Geschichten oder komplexe Sachverhalte auf einen Blick wahrnehmbar machen können. Tausend Worte würden oft nicht ausreichen, um denselben Eindruck zu vermitteln. Deshalb ist die Bildsprache ein wichtiges kommunikatives Element. Ein Element, dass Erinnerung und Assoziationen schaffen, aber auch Emotionen wecken kann. Wer hängt zum Beispiel nicht am Familienalbum? Bilder können alles sein. Mal Ikone und dank Künstlicher Intelligenz immer öfter auch Waffe. Manche Bilder, wie die aus der Werbung, vermitteln eine (schöne) Scheinwelt. Dennoch sind gerade solche Bilder oft unvergesslich und in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Unvergesslich, wie zum Beispiel die Bauarbeiter, die in der Mittagspause hoch über Manhattan auf der Stahltraverse sitzen. Oder der Seemann, der eine Krankenschwester am Times Square leidenschaftlich küsst. Abseits dieser mehr oder weniger wahrheitsgetreuen Bilder, die uns im Gedächtnis bleiben sollen, gibt es aber auch ganz persönliche Bilder, die auf der inneren Festplatte eingraviert sind und niemals gelöscht werden können. Jeder hat so eine persönliche „Shortlist“ von abgespeicherten Bildern und manche davon haben durchaus ein kollektives Potential. Sie sind also nicht nur für den „Eigengebrauch“ bestimmt. Man sollte diese Bilder unbedingt „medial“ transportieren. Ganz nach dem Vorbild der Profis, weil es für die Gesellschaft wichtig sein könnte. Eines meiner ikonischen Bilder habe ich vor mehr als 40 Jahren in der ehemaligen Sowjetunion „geschossen“ und im inneren Gedächtnis unauslöschlich verankert. Es war eine kleine Kirche in einer kleinen Stadt mit dörflicher Wohnstruktur. Die kleinen Häuser, viele aus Holz, einfach und nach westlichem Standard vielleicht sogar primitiv aber durchaus schmuck. Mehrheitlich hatten sie einen kleinen Garten und reihten sich entlang von unbefestigten „Straßen“ zu einer geschlossenen Wohngegend. Inmitten dieser Siedlung stand sie, die kleine Kirche – oder vielmehr das, was von ihr noch übriggeblieben war. Das (katholische) „Gotteshaus“ war nämlich brutal zerstört. Eingerissene Mauern wie tiefe Fleischwunden, gaben den Blick ins trostlose Innere frei. Reste des Kirchturmes, der wie ein abgetrennter Schädel über den Kirchplatz verstreut lag. Hole Kirchenfenster, die mich wie ausgestochene Augen leblos anblickten. So stand diese „Kirche“ unvermittelt im Kontrast zur intakten Wohnsiedlung vor mir und ließ mich nahezu erstarren. Niemals vorher oder nachher habe ich je so eine kirchliche Wunde gesehen. Seither ist das Bild für mich Sinnbild und Metapher für eine zerstörte, christliche Wertekultur, die ich so in meinem Land nicht erleben möchte. Ich weiß, es ist ein frommer Wunsch, wenn man heute sehen muss, dass selbst in Bethlehem nur noch Ochsen im Stall stehen.