Totgesagte leben länger
Die Erzählung von der vermeintlich sterbenden Innenstadt ist ein Thema, dass die öffentliche Diskussion in vielen Kommunen stark beschäftigt – auch in der schnuckeligen Herzogstadt St. Veit an der Glan. Doch hier steht die Geschichte im krassen Gegensatz zur Realität. Auffällig ist, dass die „Präterminalphase“ hier schon Jahrzehnte anhält. Deshalb könnte man zum Schluss kommen, Totgesagte leben länger.
Text: Peter Baumgartner
Doch irgendwie scheint der palliative Gedanke doch tief in der Bevölkerung verankert zu sein und insbesondere die örtliche Politik unternimmt alles, um der Lebensqualität der „Patienten“ doch noch ein subjektives Wohlbefinden zu vermitteln. Im „Palliativzentrum“ St. Veit sind aber alle Bewohner „Patienten“ – auch die Politikerinnen. Genau da ist ein Widerspruch deutlich sichtbar. Man beschäftigt sich, den vermeintlichen Tod vor Augen, nicht mit den „unerledigten Geschäften“, sondern mit leeren Schaufenstern. Man zerpflückt die Beweggründe derer, die einfach keine Lust mehr haben täglich im Geschäft zu stehen und man veranstaltet Studien, wie leere Schaufenster attraktiv gestaltet werden können. Nur die „unerledigten Geschäfte“, die greift niemand an. Doch genau darum geht es in einer Kommune. Und St. Veit an der Glan hat wahrlich genug echte „Baustellen“. Leere Geschäfte und eine sterbende Innenstadt sind dagegen Kinderkram.
Nehmen wir beispielsweise die Luftqualität. Peter Anderwald, der bekannte, gerichtlich beeidete Sachverständiger sagt aus Erfahrung, gefährlich ist, was man nicht sieht. Und er sagt auch, es gibt nichts, was es nicht gibt. In St. Veit mit seiner Großindustrie im Zentrum und umgeben von Dreckschleudern, ist das kein Thema. Im Gegenteil. Als die gemessenen Luftmesswerte permanent im roten Bereich lagen, ist man kurzerhand hergegangen und hat die Luftmessstelle „verräumt“. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ohne Messstelle können die Menschen in der Stadt trotz zunehmender Müllverbrennung wieder frei durchatmen. Der lästige Kinderarzt ist längst in Pension und man kann sich wieder mit „wichtigeren“ Dingen beschäftigen. Zum Beispiel mit leeren Schaufenstern. Doch Fehlanzeige! Die Dreckschleudern sind immer noch da und es werden sogar immer mehr. Voll Stolz berichtet die Politik von jeder neuen, innovativen „Betriebsansiedlung“. Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, aus jedem Schlot qualmt es und in Summe schaut es mancherorts aus wie in einem rumänischen Kohlerevier in den 60igern. Doch was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, ist Dogma in der Stadt und deshalb wird der Ruf nach belastbaren Messdaten konsequent ignoriert.
Zum Luftproblem trägt natürlich auch das Verkehrsproblem der Stadt maßgeblich bei. Ein Problem, das von der Politik wirklich Jahrzehnte konsequent ignoriert wurde, lässt sich auch mit „Radsternfahrten“ nicht überdecken. Und wenn der Bürgermeister seinen PKW werbewirksam für ein paar Tage einmottet, freut sich der Transit-LKW, weil er dann mehr Platz in der Stadt vorfindet. Lösen will man das Verkehrsproblem nicht. Alle paar Jahre dürfen sich Experten den Kopf über neue Verkehrslösungen zerbrechen, aber das hat mehr den Charakter eines Proseminars unter natürlichen Bedingungen für angehende Experten. Statt proaktiv ein Gesamtverkehrskonzept mit dem örtlichen Entwicklungskonzept zu verbinden, diskutieren die Gemeindeväter und Mütter über den nächsten Wiesenmarkt und verfolgen Projekte, die ganz sicher noch mehr Verkehr provozieren werden. Zum Beispiel wird ein Wohnungsprojekt auf der grünen Wiese außerhalb der Stadt vehement verfolgt, obwohl es im Stadtbereich mehr als genug Entwicklungsmöglichkeiten gibt.
Alles hängt mit allem zusammen. Diese Humboldt-Erkenntnis hätte eigentlich ausgereicht, um uns den richtigen Weg zu zeigen. Aber nein, wir wollten wie Halbstarke selber herausfinden, wie man richtig viel „Kohle“ machen kann, ohne auf die Umwelt Rücksicht nehmen zu müssen. Und jetzt haben wir den Salat. Jetzt sind wir darauf angewiesen, dass grüne Männlein (und Weiblein) den Karren wieder aus dem Dreck ziehen. OK, man könnte sagen, es hat nicht mal 200 Jahre gebraucht, bis wir übernasert haben, auf dem falschen Weg zu sein. Erdgeschichtliche Blitzkneiser sozusagen. Doch die St. Veiter sind noch längst nicht davon überzeugt, dass der eingeschlagene Pfad falsch ist. Wie anders lässt es sich sonst erklären, dass sie die schlechte Bodenqualität in der Stadt schlicht und ergreifend ignorieren. Die „Expertise“ des Umweltstadtrates dazu: „Wir werden erst aktiv, wenn es kritisch wird“. Dabei muss man kein Humboldt sein um zu wissen, ohne gesunden Boden, gibt es kein gesundes Leben. Und die St. Veiter haben es sogar amtlich bestätigt, dass die Sünden der Vergangenheit an ihrem Boden nicht spurlos vorbeigegangen sind. Trotzdem lassen sie keine „Nestbeschmutzung“ zu und tragen das Image einer indisch anmutenden Mülldeponie in der Vorstadt wie einen Verdienstorden vor sich her. Vielleicht saufen manche den Frust beim Neujahrsempfang des Bürgermeisters hinunter oder trösten sich beim Streetfood-Market. Von den Medien beworben als Fest für „Genießer“, ist das einzig Gesunde dabei die Hüpfburg.
Doch die Liste der „unerledigten Geschäfte“ ist noch lange nicht zu Ende. St. Veit an der Glan ist in manchen Bereichen ein Potemkinsches Dorf. Den Touristen und zu Werbezwecken werden Bilder von historischen Altbauten, das schöne Rathaus oder schöne Brunnen gezeigt. Bausünden in der Altstadt sind der „wirtschaftlichen Notwendigkeit“ geschuldet und werden nobel „übersehen“. Gleichzeitig wachsen in der Vorstadt die „Glasscherbenviertel“, die zwar noch nicht an asiatische Armenviertel erinnern, aber auf dem besten Weg dorthin sind. Seit Jahrzehnten vergammelte Gewerbegebäude oder „Häuser“, die von Saisonarbeitern bewohnt werden, lassen sich noch mehr oder weniger vor der Öffentlichkeit verstecken, aber sie sind da. Summa summarum ergeben sie eben nicht das gezeigte, von Goldhauben geprägte Bild der historischen Herzogstadt, auf die die Bewohner so stolz sind. Nimmt man noch die Erzählung von der angeblich so nachhaltigen Energieversorgung der Stadt hinzu, kommt man nicht umhin zu fragen, wem nützt diese Selbsttäuschung? Wenn Energie aus Müllverbrennung nachhaltig ist, warum ist sie dann nicht wenigstens leistbar? Müll gibt es doch genug.
Weil 2024 ein wichtiges Wahljahr ist, darf man in der Liste der „unerledigten Geschäfte“ nicht darauf vergessen, dass St. Veit auch ein veritables Demokratieproblem hat. Warum, fragt man sich, wenn die politische Erzählung behauptet, dass eh alles gut und richtig ist, warum gehen dann so wenig Menschen zur Wahl? Wenn es stimmt, dass alles so super ist, dann müssten doch 100 Prozent zur Wahl gehen und das Dream-Team dankbar für die nächste Periode wählen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Bei der letzten Gemeinderatswahl blieben 40 Prozent der Wähler der Wahlurne fern. Bei der EU-Wahl blieben sogar mehr als 50 Prozent der Wähler zu Hause. Abgesehen davon, dass sich die „Sieger“ dennoch freuen, niemand macht sich Gedanken darüber, wie man das Wahlverhalten positiv beeinflussen könnte. Immerhin geht es ja um die demokratiepolitische Legitimation einer Führungsmannschaft. Deren Ziel kann es nicht sein, Kraft einer Minderheit Entscheidungsgewalt zu erlangen – oder doch? Wir erinnern uns, als Bundespräsident Van der Bellen einen „Wasserschaden im Haus Demokratie“ erkannt hat war ihm auch klar, da ist eine Generalsanierung notwendig. Wir haben nicht vergessen, dass Van der Bellen bei dieser Gelegenheit auch ein Versprechen abgegeben hat. Er will keine Ruhe geben, bis der „substanzielle Schaden am Gebäude Demokratie behoben ist“. Das war im Oktober 2022 und wie es scheint, haben sich die Handwerker bereits häuslich eingerichtet, denn mit der Behebung des Wasserschadens sind sie noch eine ganze Weile beschäftigt.