Die Zeit drängt

Text: Peter Baumgartner.

Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet die Wirtschaftspartei ÖVP mit dem kostbaren Gut Zeit andauernd so inflationär umgeht, als hätte sie die Ewigkeit gepachtet und die Vergänglichkeit außer Kraft gesetzt.

Allegorie Nehammer / Quelle: Christina Baumgartner. In Anlehnung an eine Allegorie von Tizian kann man festhalten, dass die Zeit für jedes Geschöpf – auch für Politikerinnen, begrenzt ist. Deshalb ist jedes Geschöpf gut beraten, mit dieser kostbaren Handelsware Zeit ökonomisch und sorgsam umzugehen.

Wir erinnern uns noch daran, als der ÖVP-Klubobmann Andreas Kohl mit „Speed kills“ ein neues Regieren zum Dogma erklärt hat. Wen oder was er „töten“ wollte hat er zwar nicht genau formuliert, aber auf der Strecke blieben danach jedenfalls ein paar demokratische Grundregeln und zielsicher hat er das Vertrauen in die Politik eingestampft – vor weit über 20 Jahren, nicht erst heute. Kohls politischer Gegenspieler Heinz Fischer stellte mit Bedauern fest, dass „Speed kills“ als Drüberfahren wahrgenommen wurde. Tatsächlich kann man sich gegen solche Regierungswalzen mit demokratischen Mitteln kaum wehren. So blieb es der Justiz vorbehalten, gelegentlich die Reißleine zu ziehen und so manches Gesetz zurück an den Start zu schicken. Dass dadurch nicht nur viel demokratisches Porzellan zerschlagen, sondern auch wertvolle Zeit verplempert wurde, schadete zumindest Andreas Kohl überhaupt nicht. Im Gegenteil. Erst sein vernichtendes Wahlergebnis bei der Bundespräsident Wahl, brachte ihn Jahre später auf den Boden der Realität – was ihn und seine Gefolgschaft aber nicht daran hindert, weiterhin erfolgreich den Gscheidl zu mimen. Noch immer hängen Legionen von Politikerinnen (und Journalistinnen) an seinen Lippen. Selbst Kohls zweifelhaftes Verständnis zur Wahrheit („Wahrheit ist eine Tochter der Zeit“), scheint bereits allseits akzeptierte Realität zu sein. Allerding hat der römische Schriftsteller Aulus Gellius auch gesagt, „Mit der Zeit kommt die Wahrheit ans Licht“. Man muss es nur „daworten“ können…

Die ÖVP „husch-pfusch-Strategie“ wird jetzt mit grüner Assistenz fortgesetzt und findet sogar noch eine Steigerungsform. Zugutehalten kann man der jetzigen Regierung, dass sie auf einem Fundament von politischen Fehlentscheidungen steht und praktisch noch mit der Bauplatzsanierung beschäftigt sein müsste. Aber die Zeit drängt. Von Wahl zu Wahl wird das Wahlvolk unruhiger und Sympathiewerte kann man sich nicht kaufen. Das dürfte inzwischen im Bewusstsein aller Politikerinnen angekommen sein. Aber solange der Tagesbefehl „Hände falten, Goschn halten“ lautet, bleibt die kollektive Angst bestimmender Bremsklotz.

Herausragendes Beispiel, wie inflationär die ÖVP noch immer mit der Zeit umgeht, hat Bundeskanzler Nehammer „vorbildlich“ bei seiner Rede „Österreich2030“ demonstriert. Zur Information über seine Zukunftspläne, hat er im Zeitalter der Digitalisierung die gesamte Parteiführung des Landes und ein paar mehr nach Wien beordert. Und alle sind brav angetreten. Persönlich wollte er ihnen erzählen, was ihn beschäftigt und vielleicht in der nächsten Wahlperiode Handlungsmuster der Partei bestimmen könnte – vorausgesetzt er wird 2024 wiedergewählt. Es könnte aber auch bedeuten, er fühlt sich sowieso auserwählt und braucht sich mit dem künftigen Wahlergebnis folglich gar nicht auseinanderzusetzen. Die Summe der Botschaft war jedenfalls, der Zukunftsplan 2030 befindet sich in Ausarbeitung – geschmückt mit ein paar philosophischen Weisheiten (Wir sind Lernende). Man stelle sich vor, wie viele Mannstunden die Firma ÖVP für dieses „Projekt“ im vollen Bewusstsein des ökonomischen Wertes kalkuliert hat. Grob geschätzt muss es mindestens ein Personenjahr gewesen sein, dass da völlig umsonst „verwirtschaftet“ wurde. Hochgerechnet auf das in diesen Kreisen übliche Einkommen, wird einem schwindlig. Leisten können müssen sich so etwas nur die Steuerpflichtigen. Jede andere Firma wäre noch vor dem Ende der Veranstaltung pleite. Jeder Straßenkehrer hat ein besseres Betriebsergebnis. Um dieser Zeit- und Kostenverschwendung Einhalt zu gebieten, sollte das Wahlvolk für Politikerinnen zwingend die 40-Stunden-Woche (inkl. Reisezeit) einfordern. Dann könnten sie vielleicht weniger anstellen.

Aus der Vergangenheit lernen, heute klug handeln, damit man seine Handlungen nicht morgen schon bereut. So wollte Tizian wohl den klugen Umgang mit der Zeit verstanden wissen. Aber die Wahl der falschen Vorbilder ist auch eine Erscheinung der Zeit. (PB)

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