Stunksitzung im Kärntner Landtag

Text: Peter Baumgartner.

Als „Gegen-Programm“ gedacht, ist die „Stunksitzung“ im Kölner Karneval das genaue Gegenteil der allseits bekannten Prunksitzung. Unkorrekt, rotzfrech, kabarettistisch. Da wird beschimpft und schonungslos beleidigt was das Zeug hält. Dargeboten wird alles was provokant und gewissenlos ist – bis hin zum nackten Hinterteil. Ganz so verläuft die Landtagssitzung in Kärnten – noch nicht. Aber fast.

Die Landtagswahl im März 2023 brachte – auch dank medialer Unterstützung (Mikophonständer der Regierung/Klenk), in Summe die Weiterführung der bisherigen Machtverhältnisse. Die Verlierer sind wieder die „Sieger“ und bilden einen Sesselkreis der „mir san mir-Gesellschaft“. Einzige Unterschiede zum bisherigen Politschauspiel: die Opposition wurde dank teils beachtlicher Zugewinne bei der Wahl selbstbewusster und die „Sieger“ trotziger. Eine Außenseiter Partei (VisionÖsterreich) konnte sogar einen Achtungserfolg erzielen. Unverändert und unangefochten an der Spitze des Wahlergebnisses liegt wieder die Partei der Nichtwähler mit 126.000 Stimmen vor dem „Sieger“ mit 118.000 Stimmen (-9 %). Diesem Ergebnis geschuldet ist wohl die stetige Zunahme an Macht und Autonomie außerparlamentarischer Blöcke.

Vor dieser Gemengelage fand die 1. Landtagssitzung, die konstituierende Sitzung, am 13. April statt. Allerdings entwickelte sich diese 1. Landtagssitzung im Laufe des Tages zu einer Regierungssitzung, was prompt den Unmut der oppositionellen FPÖ-Landtagsabgeordneten auslöste. Nach den verfassungsmäßig vorgeschriebenen Neuwahlen und Angelobungen, gewährte der alte und neue SPÖ-Landtagspräsident Rohr nämlich nur dem alten und neuen Landeshauptmann Peter Kaiser die Redeerlaubnis – im Landtag wohlgemerkt. Der Präsident des Landtages hatte also in der 1. Landtagssitzung ausschließlich einem Regierungsmitglied, seinem Parteifreund, die Möglichkeit zur Verbreitung seiner Botschaft eingeräumt. Davon nahm dieser auch ausgiebig gebrauch. 46 Minuten lang dauerte sein Vortrag an die zum kollektiven Schweigen verdonnerten Abgeordneten. Kein Wunder, dass die FPÖ von einem „demokratiepolitischen Skandal“ gesprochen hat und aus Protest vor der Rede des Landeshauptmannes sogar geschlossen den Saal verlassen hat. Damit war der an sich feierliche Tag versaut und die Landtagssitzung geriet zur „Stunksitzung“.

Der Platz neben mir ist leer. Ich hör‘ deine Stimme nicht mehr. Ich möcht‘ dich umfassen und spüren ganz nah, doch dann seh‘ ich, du bist ja nicht da. (Hartmut Eichler/1964)
Bild Sabrina Staudacher/FPÖ

Einmal mehr lieferte der ORF einen Beweis seiner regierungsfreundlichen Berichterstattung. ORF-Kärnten-Chefredakteur Bernhard Bieche sprach von einer „grundsätzlich programmgemäßen Landtagssitzung, die nur von einem unerwarteten blauen Protest“ gestört wurde. Sogar vor einer falschen Interpretation der Landtags-Geschäftsordnung und eigenen, abfälligen Meinungsäußerungen zur FPÖ, schreckte Bieche nicht zurück. Die Tageszeitung Kurier bezeichnete das Verhalten der FPÖ einen „kleinen Skandal“. Die Bezirkszeitung nahm, wie Andrea Bergmann von der Kleinen Zeitung, einen von der FPÖ verursachten „Eklat“ wahr. „Stunk“ von Seiten der FPÖ erwartete Frau Bergmann allerdings schon einige Tage vor der 1. Landtagssitzung. Da war nämlich schon klar, dass Präsident Rohr nur den Landeshauptmann – und zwar ursprünglich sogar 80 Minuten lang, wird reden lassen. Vor dem Hintergrund der ORF live Übertragung natürlich eine tolle Werbemöglichkeit, die sich die SPÖ nicht entgehen lassen wollte. Erwartungsgemäß verteidigte der Landtagspräsident seinen Alleingang ohne dabei zu überzeugen und erteilte ausschließlich dem Landeshauptmann das Wort. Konfrontiert mit den leeren Sitzen der FPÖ-Abgeordneten, ging Dr. Kaiser auf den, seiner Meinung nach, der Politik und der Verantwortung nicht dienlichen Parlamentsauszug ein. In einem Nebensatz erinnerte sich Kaiser, dass er selber als Oppositionspolitiker nach der Angelobung des Landeshauptmannes sehr wohl auf dessen Ausführungen replizieren durfte. Auf das Redeverbot für die Abgeordneten ging er nicht konkret ein. Es hat Dr. Kaiser leider auch niemand gefragt, worin sich die aktuelle Blockadepolitik seiner Partei in Wien vom Auszug der FPÖ in Kärnten unterscheidet.

Nun, klar ist, die offen geäußerte Kritik der Medien und der „Siegermächte“ auf die Protestaktion der FPÖ-Fraktion, ist insgesamt ausschließlich an diese gerichtet. Den „unerfreulichen Vorfall“ und die „Provokation“, hat demnach die FPÖ allein zu verantworten – nicht die anderen Parteien und schon gar nicht der Landtagspräsident, dessen Verpflichtung es eigentlich ist, eine einvernehmliche Tagesordnung in der Präsidialkonferenz herbeizuführen. Man könnte also durchaus auch zum Schluss kommen, hier liegt eine Schuldverdrehung vor. Nicht die FPÖ hat diese „Stunksitzung“ herbeigeführt, sondern die, die den Abgeordneten in ihrem eigenen Haus „Hände falten, Goschn halten“ befohlen und sie somit an der Ausübung ihrer Pflichten gehindert haben. Erschütternd ist – und das zeugt insgesamt vom verlotterten Demokratieverständnis im Landtag, dass außer den FPÖ-Leuten nicht ein einziger Abgeordneter seine Stimme erhoben und sein Rederecht eingefordert hat. Wahrscheinlich ließe sich über dieses Thema vortrefflich juristisch diskutieren. Unbestritten ist, dass ein Auszug von Abgeordneten aus dem Parlament legitim ist, wenn sie dieses Mittel ergreifen wollen. Die Anwesenheitspflicht der Abgeordneten ist leider ein sehr dehnbarer Paragraph in der Geschäftsordnung. Ausgerechnet die 2. Landtagssitzung am 11. Mai, wo genau die Debatte zur Rede des Landeshauptmannes nachgeholt wurde, hat gezeigt, wie schlampig die Anwesenheitspflicht wahrgenommen wird. Es war regelrecht der Beweis dafür, dass die Debatte direkt nach der Rede des Landeshauptmannes am 13. April hätte stattfinden müssen, wo – dem Anlass geschuldet, ausnahmsweise alle Regierungsmitglieder und Abgeordneten anwesend waren. Selbst Landtagspräsident Rohr musste kleinlaut eingestehen, dass die unentschuldigte Abwesenheit von Regierungsmitgliedern nicht in Ordnung ist und er sie „bitten“ wird, in Zukunft der Geschäftsordnung Folge zu leisten.

Freiheitlicher Landtagsklub verlässt die Landtagssitzung wegen Redeverbot.
Bild: Sabrina Staudacher/FPÖ

Die Gelöbnisformel für Parlamentarier lautet: „Ich gelobe, für die Freiheit, den Bestand und die Wohlfahrt des Landes Kärnten und der Republik Österreich jederzeit einzutreten, die Gesetze des Landes und des Bundes getreu zu beachten und meine Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen.“ Wenn die Haupttätigkeit der ins Parlament gewählten Personen die Parlamentsarbeit ist, dann fragt man sich als Bürger, warum gibt es für abwesende Mandatare keine Strafen? Warum ist eine Eröffnungsfeier wichtiger als die Anwesenheitspflicht im Parlament? Welcher Grund – außer Erkrankung – ist überhaupt wichtiger, als die hauptsächliche Verpflichtung, die für jeden anderen Dienstnehmer auch gültig ist? Vielleicht liegt es daran, dass die Abgeordneten das Gelöbnis nicht selbst sprechen müssen, sondern lediglich auf die Vorlesung mit den kurzen Worten „Ich gelobe“ antworten dürfen. Vielleicht sollte man einmal grundsätzlich hinterfragen, ob die Abgeordneten wegen der oberflächlichen Modalitäten den Wortlaut der Formel überhaupt vollständig verstanden und deren Sinn erfasst haben.

Der traumatische Vorwahlkampf im Jahre 2012 ist in Kärnten tief verinnerlicht. Vom andauernden „Tango Korrupti“ gebeutelt, konnte die FPÖ dennoch durch x-maligen Auszug aus dem Landtag die Neuwahl „schwuppti wupp“ verzögern. Erst im März 2013 konnte schließlich doch gewählt und neue Mehrheitsverhältnisse geschaffen werden. Schon damals war also klar, dass die Geschäftsordnung schwere Mängel aufweist. Die Parteien hätten zehn Jahre Zeit gehabt, parlamentsverträgliche Regeln zu schaffen. Sie haben es nicht getan und tun es jetzt nicht. Vielleicht weil sie das Spiel mit der zeitweiligen Abwesenheit am Arbeitsplatz selber ganz praktisch finden? Vielleicht weil Parteitermine wichtiger sind, als die Arbeitsverpflichtungen im Parlament? Sicher ist, ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert – insbesondere von einem Abgeordneten Gehalt inklusive „Nebeneinkünfte“. (PB)

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