Känguru in der EU

Kängurus und Lobbyisten haben zwei typische Gemeinsamkeiten. Sie können jedes Hindernis überspringen und haben einen großen (Geld)Beutel. Tatsächlich gibt es in Brüssel einen Verein namens „Kangaroo Group“. Diese Organisation steht bei Lobbypedia als Stützpunkt der Rüstungslobby in der Kritik – und ist offensichtlich sehr erfolgreich.

Corporate Europe Observatory

Eine allseits bekannte, Erklärung für alle nationalen und europäischen Probleme ist – die EU. Zunehmend ist die EU auch für internationale Probleme (mit)verantwortlich. Ganz egal, von wem und zu welchem Thema Kritik geäußert wird, der „Schuldige“ ist immer Brüssel. Ist das tatsächlich so? Sind wir im Umkehrschluss alle Probleme los, wenn wir nicht mehr bei der EU sind? Vor der EU-Wahl kann es hilfreich sein, sich mit diesen Fragen genauer zu beschäftigen, denn Fakten können da durchaus hilfreich sein. Fakt ist, dass jede(r) einzelne Abgeordnete aus Österreich mit seiner Stimme in der EU mitentscheidet. Fakt ist, dass es bei knappen Entscheidungen durchaus auf jede einzelne Stimme ankommen kann, ob ein Gesetz angenommen wird oder nicht. Die Größe eines Landes, einer Fraktion, ist nicht allein maßgeblich. Fakt ist, das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten ist transparent. Man kann sich jede Sitzung anschauen und Statistiken verfolgen. Und Fakt ist, dass der Lobbyismus in der EU industrielle Ausmaße angenommen hat. Sarah Wiener, die Grüne Abgeordnete im EU Parlament hat erlebt und geschildert, wie Gemeinschaftsrecht von Lobbyisten generalstabsmäßig untergraben und torpediert wird.

Am Beispiel der Pestizidreduzierung wird dargestellt, wie Industriekonzerne arbeiten. Österreichische Abgeordnete wurden sogar namentlich als „Sprachrohr“ der Pestizidindustrie bezeichnet. Sehen kann man das alles dann im öffentlichen Abstimmungsverhalten. Dann ist es jedoch schon zu spät.  Corporate Europe Observatory (CEO), eine europäische Kampagnengruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, den Einfluss von Lobbygruppen auf die EU-Politik aufzudecken und zu hinterfragen. Regelmäßig zeigt CEO, unter welchen fragwürdigen Umständen Gesetze entstehen. Doch darüber und wer von wem beeinflusst wird, wird kaum berichtet. Es ändert sich auch nichts. Nur, „die EU ist schuld“. Das bleibt bestehen und gilt als Entschuldigung für eh alles. Bei der „Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGFW) kann man sich auch über das persönliche Abstimmungsmonitoring in der EU schlau machen. Alles ganz transparent – und „es war immer so“. Befallen vom Lobbying-Virus sind übrigens alle Parteien – auch die Grünen. Die deutschen Grünen halten beispielsweise über einen eigens gegründeten Verein sogar engen Kontakt zur Chemieindustrie. Lobbypedia (LobbyControl) kritisiert, dass dadurch finanzstarke Gruppen einen privilegierten Zugang zur Parlamentsarbeit bekommen.

Kaum jemand erinnert sich heute noch an den österreichischen EU-Angeordneten Hans-Peter Martin. Er war 15 Jahre im Parlament und galt als Prellbock gegen Korruption und Lobbyismus. 2004 und 2009 lag er jeweils weit vor der FPÖ auf Platz 3 und kam am Ende sogar der SPÖ gefährlich nahe. Wahrscheinlich wurde er vom ORF gerade deshalb erfolgreich „weggeschwiegen“. Eine „Wahlhilfe“, die beim ORF ganz besonders auffällig ist, aber selbst Gerichte kalt lässt. Als Politiker und Buchautor kann man Martin getrost auch als Prophet bezeichnen, wenn er beispielsweise das Erstarken der FPÖ vorhergesagt hat. 2009 wachelte Strache mit dem Kreuz im Wahlkampf und beschwor das „Abendland in Christenhand“. Doch Martin blieb mit Sachpolitik erfolgreicher (18%). Der Preis? Als Aufdecker hat er am eigenen Körper erlebt was es heißt, korrupte, aber mächtige Politiker gegen sich zu haben. „Gam Over“, Wohlstand für wenige, Demokratie für niemand, Nationalismus für alle – Martins Buch aus 2018 kann man, wie schon „Die Europafalle“ (2009), unter Dystopie einordnen. 2013 veröffentlichte Martin, dass er als Abgeordneter innerhalb von zwei Jahren 1427 Lobby-Verlockungen ausgesetzt war und wie Konzernwünsche in europäisches Recht umgewandelt werden. Hat es etwas genützt? Nein. Außer der Erkenntnis, dass „Race to he bottom“ noch nicht zu Ende ist.

Lobbying ist per se nicht schlecht. Doch zu oft steckt eben auch Korruption dahinter. Jedenfalls sind Anonymität und Lobbyismus Geschwister. Der Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) 2023, bescheinigt Europa, dass sich die Korruptionssituation erstmals nach 10 Jahren verschlechtert hat. Transparancy geht davon aus, dass sich die Situation um institutionelle Korruption noch mehr verschlechtern wird, wenn es weiterhin keine wirksamen Strafen gibt. Mit 65 von 100 Punkten ist die EU wie Österreich nur „zweitklassig“. Man sollte mit seiner Wahlstimme wirklich sorgsam umgehen. Der Fall Hans-Peter Martin mag eine Warnung, ein Aufwecker gewesen sein. Viele Chancen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, werden wir nicht mehr bekommen.

Grafiken: Drei wichtige Abstimmungsbeispiele, wie österreichische Abgeordnete in der EU abstimmen. Quelle: Corporate Europe Observatory (How did political groups in the EP vote on pesticide reduction?/2023).

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