Wo ein Wille, da ein Uferweg
Text: Peter Baumgartner
Der freie Seezugang beschäftigt weiterhin das gemeine Volk. Alljährlich zur warmen Jahreszeit, begibt sich die Journalisten Zunft auf Feldforschung. Ein Journalist in Badehose ist neu.
Abgesehen davon, dass die Recherche des Journalisten Thomas Martinz für den Bericht „Große Seen-Sucht“ in der Kleinen Zeitung für ihn wahrscheinlich eine willkommene Gelegenheit war, bei Sonnenschein das muffige Büro ganz legal in Richtung Strand verlassen zu dürfen, wiederspiegelt die Arbeit jedoch ein typisches Beispiel von „verspielter Journalismus“. In positivem Sinn natürlich – davon gehe ich mal aus. Verspielt könnte ja auch geistesabwesend bedeuten. Nein, ich meine eher, der Redakteur wollte im Bewusstsein seiner Machtlosigkeit spielerisch wirken und war dabei höchstens etwas abgelenkt. Wie ein Delphin. Er macht lustige Figuren, schwimmt zwischendurch aber immer wieder.
Was war passiert? Nach der mühsamen Sedierung der „Mutbürger“ durch die Polit-Anästhesisten, die mit ihrem Seen-Volksbegehren für einigen Wirbel gesorgt hatten, wurde es langsam wieder „still um den See“. Bis ORF-Eco Spezial vor ein paar Tagen der Frage nachging, wem die Seeufer eigentlich gehören. Dabei stolperte die Redaktion über den Begriff „Gemeingebrauch“, der im Wasserrechtsgesetz eigentlich eindeutig geregelt und Grundlage jeder vertraglichen Transaktion von Seegrundstücken ist. Dennoch zeigte man sich vom Ergebnis der Feldforschung „überrascht“ und provozierte mit dem TV-Beitrag den Martinz-Selbstversuch, der prompt in Badehose die Strände der Promi-Villen abklapperte. Ein neues Medienformat war geboren – Floating Journalism.
Gegenstand der Begierde ist der, vom Wasserstand abhängige und begehbare Uferstreifen, der naturgemäß nicht immer gleich ist. Die Grund- oder Pachtgrenze eines Ufergrundstückes endet, bzw. beginnt auch seeseitig natürlich immer am gleichen Punkt. Und der ist vertraglich an Gewässern mit schwankenden Pegelständen durch den „regelmäßig wiederkehrenden, ordentlich höchsten Wasserstand“ definiert. Klingt logisch und ist es auch. Nur ergibt sich daraus folgerichtig ein temporärer Uferstreifen – mal mehr oder weniger. Bei normalen Pegelständen ist der Uferstreifen kaum oder gar nicht sichtbar. Wenn der Wasserstand zum Beispiel bei längerer Trockenheit sinkt, „wächst“ das Ufer. Dieser „neue“ Grund gehört natürlich nicht dem angrenzenden Grundstückseigner/Pächter, sondern ist bei öffentlichen Gewässern eben „Gemeingut“. Mit zunehmender Verbauung der Seeufer, wächst allerdings die sich aus dem „Gemeingut“ ergebende Problematik. Das haben die gescheiten Herrn und Damen in den Amtsstuben nicht bedacht. Plötzlich plantschen Hinz und Kunz vor der privaten See-Villa auf einem 1-Meter breiten, öffentlichen Uferstreifen. „Dank“ Klimawandel könnten sich vielleicht räumlich sogar bald Sonnenliege und Strandgriller ausgehen – vorausgesetzt, man kann wasserseitig anlanden. Uferseitig wird man das begehrte Land eher selten erreichen, denn einen Zugang an privaten Grundstücken vorbei, wird man meist vergeblich suchen. Es könnte aber auch der umgekehrte Fall eintreten und große Teile des privaten Ufergrundstückes dauerhaft überschwemmt werden. Das liebevoll gepflegte Rosenbeet und der Marmorbrunnen würden dann in den Fluten versinken. Die aufgeflammte Diskussion um den „Gemeingebrauch“ wird den Regelungsdruck jedenfalls erhöhen. In welche Richtung es gehen wird, kann man sich vorstellen. Ufer-Grundstücksbesitzer werden sich vorsehen müssen. Man muss kein Wahrsager sein um zu erahnen, dass der Wasserstand bald im Sinne der Pächter/Eigner „geregelt“ wird. Das war nicht immer so. 1857 zum Beispiel, befanden die Vorfahren der heutigen Beamten, man kann armen Keuschlern auch die Aufschüttung der Seeuferflächen erlauben, weil sie bei mehr Ertrag auch mehr Steuern zahlen werden. Weitsicht zählte damals noch zum Qualifikationsprofil eines Beamten.
Anderswo hat man von „Gemeingebrauch“ längst eine andere Vorstellung als bei uns. In Italien beispielsweise, haben sich an den Stränden unzählige kleine Herrschaftsgebiete gebildet. Jedes stabilimento balneare, jedes Strandbad, ist ein eigenes Königreich und der „Bagnino“ hebt die Strandsteuer ein. Wenn sich die EU nicht einmischt, wird es auch so bleiben. In Griechenland werden ähnliche Verhältnisse unfreundlich als mafiös bezeichnet. Dabei verdienen die Kommunen – im Gegensatz zu uns, wenigstens ein wenig mit. Einen ganz anderen Weg geht Monaco mit dem in Bau befindlichen neuen Stadtteil „Mareterra“, der buchstäblich Neuland schafft und das Land einfach um 3 Prozent vergrößern wird. Von wegen, Land kann man nicht vermehren! Nix für Flip Flop -Touristen natürlich. Der Anspruch lautet: Die teuerste Immobilie der Welt. Listig gingen und gehen die Schweizer vor, wenn sie den Anspruch haben, ihre schönen Gewässer auch öffentlich nutzen zu wollen. Als Roger Federer ein Seegrundstück kaufte, erwog man etwas humorvoll, dieses wasserseitig mit einer Brücke für ausgesperrte Uferwanderer zu überbauen. Das Haus, besser gesagt Federers-Stadtviertel, ist zwar bald fertig, aber öffentlichen Uferweg gibt es noch nicht. Tatsächlich umgesetzt hat man beispielsweise einen 841 Meter langen Holzsteg am Zürichsee (Beitragsbild) als Umgehung für einen nicht nutzbaren Uferbereich. Man stelle sich vor, das Glock-Anwesen am Wörthersee kann man einfach auf einem Ufersteg umgehen. Vermutlich würde die Artillerie vorrücken und den Steg in Stücke schießen. Wenig zimperlich, bayrisch eben, gehen unsere Nachbarn mit dem Thema freier Seezugang um. Wenn es darum geht, für die verfassungsrechtliche Durchsetzung der Bürgerrechte zu kämpfen, fährt gleich der Bagger auf. Bereits 1969 sorgte ein Bürgermeister durch eine Geröll- und Kies Schüttaktion vor einer Promivilla am Tegernsee für ein öffentliches Ufer. Viele Kollegen folgten seinem Beispiel und jetzt vor den Wahlen „kümmert“ sich die Bayernpartei wieder aktiv um das Thema Artikel 141 der Verfassung: „Staat und Gemeinde sind berechtigt und verpflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Seen, Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten freizuhalten und allenfalls durch Einschränkungen des Eigentumsrechtes freizumachen sowie Wanderwege und Erholungsparks anzulegen.“
2017 forderte der Kärntner Schriftsteller Egyd Gstättner die „Rückeroberung“ des Wörthersees. In seiner Wahrnehmung steht der See in Geiselhaft der Reichen und Schönen. Ich war damals durchaus kampfbereit und hatte flugs eine Strategie erarbeitet. Leider wurde der Plan nicht umgesetzt. Vielmehr scheint zumindest in Kärnten ohnehin politischer Konsens in der Frage Uferverbauung zu bestehen. Quer durch alle Parteien, versichert immer der jeweilig zuständige Bürgermeister oder Bürgermeisterin, dass alle Bauprojekte rechtmäßig abgewickelt wurden. Die SPÖ Landesrätin Dörflinger versichert, „Wir haben alle gesetzlichen Möglichkeiten ausgereizt, um dem Seenvolksbegehren weitestmöglich zu entsprechen“. Sogar der grüne Parteichef darf – dank der frühen Geburt, im Naturschutzgebiet am See leben und kann die Motorsägen in der Nachbarschaft einfach nicht hören. Und der Bürgerprotest ist enden wollend. Falls Einheimische überraschend doch aufbegehren, werden sie konsequent von den Medien totgeschrieben. Der Schweizer Galionsfigur für den öffentlichen Uferweg, Victor von Wartburg, könnte das nicht passieren. Er sagt kämpferisch: „Wo ein Wille, da ein Uferweg“.
Man wird sich mit der Situation jetzt wohl auch arrangieren müssen, denn der Flaschengeist wurde spätestens mit der Privatisierung der Bundesforste freigelassen. Der „schönste Finanzminister aller Zeiten“, selber ein Kind vom Wörthersee, hat allen gezeigt, wie der Hase läuft. „Das einzige was passiert ist, dass wir die Verwaltung an die Bundesforste übertragen“, erklärte Karl-Heinz Grasser 2001 zum Taschenspielertrick mit den Seen. „Wir wollen es nur effizienter und billiger machen. Die Bundesforste sind nur eine Verwaltungsgesellschaft“ – so Grasser. Und alle Schafe machten „bäh“. Seit 2001, beziehungsweise seit der Ausgliederung der „Verwaltungsgesellschaft“ im Jahre 1997, warten die Steuerzahler darauf, dass sich nichts ändert und dass es billiger wird. Tatsächlich wurde es für die Immobiliendeals billiger und vor allem einfacher, weil man nur noch einen Ansprechpartner aus den eigenen Reihen hat. Das Risiko übereifriger Beamten ist erledigt. Für das „Volk“ werden ein paar steile Treppen zum Wasser neben einer öffentlichen Legebatterie wohl ausreichen. Hat eh keiner eine Boesch Yacht, die Infrastruktur braucht.
Was die jetzige Diskussion um den Uferstreifen auslösen wird, ist vergleichbar mit 2001. Wer wollte, konnte damals die „Anlandungen“ kaufen – oder pachten. Die Bevölkerung „durfte“ Grasser und Molterer via Kleine Zeitung die Meinung sagen. Ja, und da war vor 10 Jahren noch etwas mit einem See-Untersuchungsausschuss. Eine Gewerkschaftsbank saß auch im Boot. Und ebenfalls vor 10 Jahren mutierte der Wörthersee offiziell zur „Schlafstätte“ (Christian Kresse/2013). „Der See wird immer privater“, befand der verzweifelte, inzwischen vertriebene Tourismusmanager und stellte die rhetorische Frage: „Was wollen wir den Gästen noch anbieten?“. Glücklich ist, wer vergisst. Vergesslichkeit dürfte eine dominante Eigenschaft der Ureinwohner sein. (PB)