Aus Erfahrung nichts gelernt

Text: Peter Baumgartner

Sechzig Jahre und kein bisschen weise,
Aus gehabtem Schaden nichts gelernt.
Sechzig Jahre auf dem Weg zum Greise
Und doch sechzig Jahr‘ davon entfernt.  (Curd Jürgens)

Erste Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft, die weltweit größte Flussreederei wurde von einer sozialistischen Regierung in Österreich versenkt. Bild: IBBS

Als in den 1990er Jahren die 1829 gegründete Erste Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft (DDSG) am Altar der aufsteigenden Marktwirtschaft geopfert wurde, war es die vormals Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ), die ihre wirtschaftliche „Kompetenz“ unter Beweis stellen wollte. Seither kann man die rote Gesinnungsgenossenschaft als federführende Privatisierungsorganisation bezeichnet, deren Spuren sich tief bis in die untersten Gemeindestrukturen eingegraben haben.

Die damals noch verstaatlichte DDSG in „sozialistischer“ Hand, galt nicht wegen der SPÖ, sondern trotz SPÖ, als größte Flussreederei der Welt. Sie beschäftige 1000 Mitarbeiter, war zentrale Verkehrsinfrastruktur der österreichischen Stahlindustrie und stand touristisch auf einer Ebene mit den Salzburger Festspielen. Nebenbei war die DDSG schon immer das, was man heute als multikultureller, international tätiger Konzern von systemimmanenter Bedeutung bezeichnet würde. Aber das reichte den Sozialisten nicht, denn sie sahen hauptsächlich die jährlichen Subventionen, die in den parteipolitisch organisierten Strukturen der Reederei versickerten. Auch wenn der Subventionsbedarf der DDSG im Vergleich zu den heutigen „Förderungen“, die jede x-beliebige Gaunerfirma einsackt, nur Trinkgeld war, es passte nicht in das neue SPÖ Verständnis von Marktwirtschaft. „Mit einer rot-weiß-roten Flagge kann man kein Geld verdienen“, lautete die politische Devise. Also musste die DDSG unter tatkräftiger Mithilfe der Gewerkschaft und der Medien „versenkt“ werden. Ein gewisser Franz Vranitzky, heute noch SPÖ-Berater, war damals Kanzler. Für seinen „Parteifreund“ Hannes Androsch galt er als „entbehrlich“ und seine DDSG-Politik verglich Androsch mit dem Verschrotten des Riesenrades oder mit Leberkäs aus Lipizzanern machen. Assistiert wurde Vranitzky von seinem Parteikollegen und Finanzminister Ferdinand Lacina, dem wir auch die Abschaffung der Vermögenssteuer zu verdanken haben und der heute emsig für „Verteilungsgerechtigkeit“ wirbt.

Wiener Zeitung und Amtsblatt – Flaggschiff der österreichischen Medienlandschaft   Bild: Baumgartner

Einsager und medialer Einpeitscher war schon weiland bei der DDSG-Versenkung ein gewisser Herr Georg Wailand. Heute noch allwissender „Wirtschaftsexperte“ der Kronen Zeitung. Jener Kronen Zeitung, die sich jetzt vehement gegen die Versenkung der traditionellen Wiener Zeitung stemmt. Auch das Wirtschaftsblatt Die Presse fand, „der Staat kann sich die DDSG nicht leisten“ und Staatsbetriebe müssen endlich betriebswirtschaftlich geführt werden. Andere Medien witzelten vermeintlich intellektuell „Verluste ahoi!“, oder orteten gar eine „Schwimmende Kapuzinergruft“. Heute kämpfen sie alle Seite an Seite mit den Fördernehmern und verteilen harsche Schelte an den Staat, wenn „die Kohle“ des Steuerzahlers nicht rasch genug am Konto der (Sau)Wirtschaft ankommt. Selbstredend sind sie heute überdies allesamt der Meinung, die staatliche Medienförderung ist viel zu gering.

Vor diesem Hintergrund könnte man sich schadensfroh ins Fäustchen lachen, wenn es jetzt der 1703 gegründete Wiener Zeitung an den Kragen geht. Aber in Wahrheit geht es gar nicht um die älteste Zeitung. Im Gegenteil. Sie und ihre neuen Machthaber bekommen mehr Geld als je zuvor. Aber es werden halt die Machtverhältnisse neu verteilt und vor allem werden wesentliche Zugeständnisse und Einsparungen für die Wirtschaft durchgesetzt. Anders als bei der DDSG flattert aber die versammelte Intelligenzia des Staates wie aufgescheuchte Hühner durch die Medienlandschaft. Angeführt vom „erfahrenen“ SPÖ Urgestein Heinz Fischer, bricht regelrecht ein Donnerwetter über die ÖVP/GRÜNE „Totengräber“-Regierung hernieder, weil sich diese erlaubt das zu tun, was sie von der SPÖ gelernt hat. Aber genau wie bei der DDSG geht es wieder schlicht und ergreifend um die Verteilung des Familiensilbers unter Erhalt einer wertvollen, gewinnbringenden „Marke“, die erst vom Steuerzahler zu dem Wert gemacht wurde, den sie repräsentiert. Nutznießer werden wieder ein paar „Visionäre“ sein, die schamlos beim Steuerzahler in die Taschen greifen, weil sie ihrer eigenen Geschäftsfähigkeit nicht über den Weg trauen.

DDSG 1829  Bild: IBBS

Die „Marke“ DDSG gibt es heute in unterschiedlichen Prägungen noch immer. Ein Teil davon gehört (noch) einem ukrainischen Oligarchen, der in London seine Finanzgeschäfte betreibt. Für Österreich bleibt aktuell zu hoffen, dass die Ukraine den Krieg gewinnt, denn sonst weht womöglich bald die russische Fahne auf der Donau unter der Reichsbrücke. Betuchte Amerikaner, die einst auf dem Kreuzfahrtschiff THEODOR KÖRNER – „Stolz der DDSG“, reisten, fahren heute mit eigen Schiffen unter der Steueroasen-Flagge Schweiz durch Österreich und lassen großzügig ein paar Euro im Souvenirladen liegen. Aber die illustre Runde um den roten Heinzi will „jeden Zentimeter Boden verteidigen“, um die Wiener Zeitung zu retten. Dabei ist die Rettung der Wiener Zeitung im Gegensatz zur DDSG einfach. Es müssten nur alle Wiener Zeitung-Fans ein Abo abschließen – und lesen könnte auch nicht schaden.

In allen Häfen war Österreich

Der aktuelle Anspruch österreichischer Transportpolitikerinnen an die Zukunft in der Logistik ist der sogenannte „Trockenhafen“. Ein Euphemismus für LKW-Abstellplatz. Klingt irgendwie netter. Man sagt heutzutage ja auch nicht mehr Bilanzfälschung, sondern kreative Buchführung. Ungebildete sind höchstens bildungsfern. Dank kreativer Wortschöpfungen kann man also jede Dummheit in einen blühenden Garten Eden verwandeln. Und es wird überall reger Gebrauch davon gemacht.

Über viele Jahrhunderte hinweg, wehte die Österreichische Handelsflagge auf den Schiffen, die nahezu ausnahmslos für den Wohlstand des gesamten Reiches sorgten. „Flagge zeigen“ war in der Monarchie sprichwörtlich noch untrennbar mit Ansehen und Hochachtung verbunden. Untrennbar damit im Zusammenhang steht auch die Adria-Stadt Triest, wo Österreichs Geschichte in vielfacher Hinsicht noch lebendig ist. Triest ist bekanntlich wie die Wiener Ringstraße – nur mit Meerblick. Hier stand einst das maritime Monument „Österreichischer Lloyd“ und Josef Ressel, einer der wichtigsten Erfinder, hat hier am 1. Juli 1829 seine Schiffsschraube präsentiert. Sogar der Bau einer Wasserstraße von Wien nach Triest wurde 1795 begonnen und direkt von Kaiser Franz unterstützt. Fertig wurde der „Wiener Neustädter Kanal“ leider nie, aber noch heute ist er ein Wahrzeichen für die damalige Bestrebung die nur eine Richtung kannte: „Vorwärts“.

Die italienische Wasserstraße vom Lago Maggiore bis Venedig. Quelle: Association Locarno Mailand Venedig

Bald nach dem Ende der Monarchie verschwand die Österreichische Flagge nicht nur von der Adria. Heute ist sie selbst auf der Donau kaum noch zu finden und in Österreich gilt die Devise „vorwärts nimmer – rückwärts immer“. Studieren können wir diese Entwicklung ausgehend von der einstigen Logistikmetropole Triest. Nach einigen zaghaften Versuchen und politischen „Meisterstücken“ schickt sich der einstige Habsburger-Hafen an, wieder an Bedeutung zu gewinnen. Und die Aussichten sind gut. Schließlich haben sich die Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg eines derartigen Standortes für den Welthandel ja nicht verändert. Aber, anstatt die Gunst der Stunde zu nutzen und im Hafen einen Anker zu setzen, begnügt sich Österreich mit der Rolle des „Hinterlandes“ und freut sich, als „Trockenhafen“ für die Adria dienen zu können. Triest, sagt Österreichs Bahnchef, ist das Tor zur Welt. Richtig erkannt, aber Österreich ist nur der Türsteher. Wir halten anderen Ländern die Tür auf, damit sie schneller hindurch können. Schlimmer noch, alles was einen raschen Hafenbetrieb behindert, wird von Triest nach Österreich „ausgelagert“ und wir freuen uns als „Zollfreikorridor“ für den Hafen herhalten zu dürfen. Das wird insbesondere die Guardia di Finanza freuen, die sich noch mit dem wachsenden Problem von Drogen- und Waffenhandel im Hafen herumschlagen muss. 730 kg Kokain wurden erst vor wenigen Tagen in einem Kaffee-Container entdeckt. Diese „Waren“ werden künftig wahrscheinlich im „Trockenhafen“ Villach landen. Friendshoring nennt man das jetzt unter Logistikpartnern. Für Kärntens Landeshauptmann ist es auch ein „Geheimrezept“.

Ungarischer Terminal in Triest. Quelle: Adria Port

Dass es intelligenter geht, zeigt uns ausgerechnet unser Monarchie-Bruder Ungarn. Orban hat bereits 2019 ein 34 Hektar großes Hafenareal in Triest gekauft und ist gerade dabei, dieses zu einem modernen Logistikzentrum für ungarische Unternehmen auszubauen. Bezahlen lässt sich Orban das natürlich wie immer von der EU und er feiert den Erfolg im eigenen Land mit „Ungarn liegt an der Adria!“. Auch die ungarische Schifffahrt hatte einst bereits eine große Bedeutung an der Adria. Das Motto der „Ungarischen Seeschiffahrts AG ADRIA“ lautete: „Sei deinem Land nützlich“. Die neue ungarische Hafen-Gesellschaft in Triest heißt auch ADRIA und die Zielsetzung ist wie damals: Sei deinem Land nützlich.

Österreich gibt sich inzwischen „Grün“ und versucht das Gesicht wenigstens in der Öffentlichkeit zu wahren. „Wir schaffen Arbeitsplätze“. Ja, ganz sicher werden wir einigen Spürhunden einen gesicherten Arbeitsplatz bieten müssen. Der Verkehr wird von der Straße auf die Schiene verlagert, lautet ein anderer Slogan. Auch das ist nicht ganz falsch. Einige Container werden zur Entlastung Italiens zwischen Triest und Villach mit dem Zug fahren und nur auf Österreichs Straßen ihren Fußabdruck hinterlassen. Eine wirklich große Verlagerung von der Straße auf die Schiene ist das nicht. Schon gar nicht, wenn ein neu zu schaffender „RailLog Park“ entstehen soll, der gar keine Gleise hat. Dafür werden hier die Schmuggel-Container hoffentlich gleich durchgewunken, wenn sie auf dem Weg nach Nord oder Süd am Rande des Naturschutzgebietes landen. Umweltschützer („Rett ma die Schütt“) kämpfen noch dagegen an. Die Aussicht auf Erfolg ist jedoch gering, denn die Zielsetzung der sozialdemokratischen Logistikpolitik lautet, banchina allungata, wir sind der verlängerte Kai Italiens. Freundschaft! Triest entlasten und Kärnten belasten. So schaut „gute Nachbarschaft“ aus.

Schwergut Umschlag vom Binnenschiff auf das Seeschiff. Quelle: FAGIOLI

Warum das alles so ist? Weil es so ist und so bleiben soll. In Österreich bestimmen noch immer ein paar kompetenzbefreite Bürgermeister mit ihrer Raumordnung und mit ihrer Ansiedlungspolitik, wohin die Reise in der österreichischen Verkehrspolitik geht. Gleichzeitig hat der Bund außer Ankündigungen und Sonntagsreden nichts zu bieten. Entwicklern von Logistikimmobilien wird der rote Teppich ausgerollt. Dank ihrer „Erfahrung“ wächst der Straßenverkehr ungebremst, die Lokomotive stampft am Stand und die Wasserstraßenlogistik plätschert knapp über der Wahrnehmungsgrenze dahin. Die besondere „Leistung“ von Qualitätsentwicklern für Logistikimmobilien besteht darin, die größten Logistikstandorte dort zu entwickeln, wo garantiert kein Schiffsumschlag möglich, aber dennoch ein „sicherer Hafen“ für Investoren entsteht.

FAGIOLI-S. Marco-Shipping Schwergutverladung in Cremona. Quelle: Fagioli

Die Schweiz, wie Österreich und Ungarn, traditionell eng mit Italien verbunden, nützt das „Tor zur Welt“ aktiv. In der Schwergutlogistik, ein Bereich, der bekanntlich hochspezialisiert und extrem profitabel ist, schafft die Schweiz gemeinsam mit Italien die logistische Infrastruktur auf der Wasserstraße und leistet so nebenbei einen enormen Beitrag zum Klimaschutz. Über das EU-geförderte Interreg Projekt „Slowmove“, entsteht eine Wasserstraße von Locarno am Lago Maggiore über Mailand, Cremona, Ferrara bis nach Venedig, die nebenbei auch von hoher touristischer Bedeutung ist. Der italienische Weltmarktführer in der Schwergutlogistik, FAGIOLI, zeigt eindrucksvoll, wie man die Wasserstraße als echte Transportalternative nutzen kann. Der trimodale lombardische Flusshafen Cremona, 280 Kilometer von der Adria entfernt, ist für FAGIOLI das nasse Logistikzentrum. Zuletzt hat der deutsche Kunde Kahl & Jansen hier einen besonders „dicken“ Transformator auf das Schiff mit Bestimmungsland USA verladen.

Beitragsbild: Triest, Quelle: IBBS