Neujahrsfeuerwerk, zwischen Kunst und Spektakel

Text: Peter Baumgartner.

Den Jahreswechsel feiern ist ein schöner Brauch, der über die Welt verteilt naturgemäß nicht gleichzeitig stattfindet. Auch der Ablauf unterliegt verschiedenen Riten, aber fast immer spielt Pyrotechnik eine wichtige Rolle. Die Frage ist, verfolgen alle Menschen mit dem Brauch ein gemeinsames Ziel? Vielleicht wollen manche mit dem Silvesterfeuerwerk das alte Jahr „erschießen“. Andere wiederum haben im Sinn, „Ein gutes neues Jahr“ gebührend zu begrüßen. Der Grat zwischen Freudenfest und Radau ist schmal.

Bild 1 Kaum neigt sich das Jahr dem Ende zu, stellen wir unsere Antenne auf Feinstaubempfang. Quelle: IBBS

Der Zuversicht stiftende Brauch sollte erhalten bleiben, wie übrigens viele andere Bräuche auch, denn Brauchtum brauchen wir aus Tradition. Also ist es etwas, dass man nicht vermissen möchte, weil es Ausdruck von Zusammengehörigkeit darstellt und Wissen in die nächste Generation weiterträgt. Tradition und Brauchtum sind jedoch auch Themen, die vielfach Anlass zu Differenzen geben und mitunter gar in schlimme Konflikte ausarten. Jemand seiner Traditionen oder Brauchtümer zu berauben, kann eine Kriegserklärung sein. Was nicht heißt, dass sich Bräuche nicht ändern, oder neue Traditionen dazukommen können. Eine wichtige Abgrenzung von traditionell überlieferten Bräuchen ist wohl das „Brauchtum aus zweiter Hand“. Und das scheint ein zunehmend kontroverses Thema zu sein, das losgelöst von der Tradition im ursprünglichen Sinn, ebenso konfliktbehaftet ist, wie kulturelle oder religiöse Auseinandersetzungen.

Das Raketenschießen, oder das Silvesterfeuerwerk zählt zu den uralten Brauchtümern. Leider verhärten sich die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern, weil eben ein Brauchtum aus zweiter Hand entstanden ist. Nicht die Kunst, Perfektion und Ästhetik für den besonderen Anlass stehen oft im Vordergrund, sondern laut, lang, hoch – und möglichst billig. Maßgebend dafür, wie bei vielen anderen Bräuchen auch, ist die Kommerzialisierung traditioneller Riten. Der „Markt“ überwuchert mit seiner ökonomischen Philosophie jede Blumenwiese wie invasive Neophyten, die letztlich – wenn überhaupt, nur noch mit radikalen Maßnahmen zu bekämpfen sind. Wenn in den Ursprüngen der Feuerwerke glitzernde und Funken sprühende Knallkörper gezündet wurden, war das einer elitären Gruppe vorbehalten, die sich die Hochkultur leisten konnte. Dennoch war es auch ein Volksfest. Der erste Verkehrsstau in London wurde schon 1749 durch ein spektakuläres Feuerwerk ausgelöst.

Bild 2: Gemeinfrei. Feuerwerk auf der Themse am 15. Mai 1749, anlässlich des Aachener Friedens

Mit dem Siegeszug des Schwarzpulvers kam das Feuerwerk nach Europa und wurde hier zuerst als „Kunstwerk“ – natürlich in Italien – kultiviert. Es gab sogar eigene Schulen, wo man abgeleitet vom lateinischen artificium alles über fuochi d’artificio (Feuerwerk) lernen konnte. Bis heute ist zum Beispiel die Ruggieri-Dynastie Sinnbild für kunstvolle Feuerwerksveranstaltungen. Ihr Ruf vom artificier du gouvernement zum artificiers du Roi gleicht selber einer Rakete, die anscheinend nicht verglühen will. Hinter dem traditionellen Silvesterfeuerwerk steckt also ein enormes Wissen, dass durch Forschung und Entwicklung über Jahrhunderte entstanden ist und dazu geführt hat, dass Menschen in die Lage versetzt wurden, neben Krieg und Zerstörung, auch kulturelle Wunderwerke zu vollbringen. Alchimisten und die Naturphilosophie standen an der Quelle einer Entwicklung, bevor die ganzheitliche Erfassung der Forschung von Chemikern und schlauen Kaufleuten übernommen wurde.

Bild 3  Das Leuchten spektakulärer Formen, die Illumination des nächtlichen Himmels oder die „umweltfreundlichen“ Reste einer Knallerei, was ist wichtiger?

Heute weiß man, wenn die toxischen Sprengschwaden durch die Luft schwabbeln, ist Silvester, Kirchtag, Hochzeit oder ein Dorffest. In Ferienregionen vergeht im Sommer beinahe kein Tag ohne Feuerwerk. Sogar Raketen-Weltmeisterschaften werden ausgetragen. Tief durchatmen ist da keine gute Empfehlung, weil man nie sagen kann, wie genau die Zusammensetzung des Giftcocktails wirkt. An ein generelles Verbot von Feuerwerken mag bei den Gesetzgebern dennoch (noch) niemand denken. Für die Eidgenossen typisch, versuchen sie über den Volksentscheid „Für eine Einschränkung von Feuerwerk“, ihr Ziel zu erreichen. Nahezu die Hälfte der erforderlichen 100.000 Unterschriften hat man schon erreicht.

Bild 4: Eidg. Volksinitiative, Initiativkomitee und Unterstützungskomitee Feuerwerksinitiative

2018, als es um die Abschaffung des traditionellen Silvesterbrauches Bleigießen ging, war die EU wenig zimperlich. Wegen der giftigen Dämpfe wurde die damals 150-jährige Tradition einfach per EU-Verordnung verboten. Von einer Einschränkung oder gar Verbot für Feuerwerke, will der deutsche Bundesverband für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk gar nichts wissen. Im Gegenteil. „Wir fordern seine Anerkennung als immaterielles Kulturerbe“, sagen sie und berufen sich dabei auf die Handwerkstradition, die hinter der Herstellung von Feuerwerkskörpern steckt und der damit verbundenen Festkultur. Falsch, sagt die Deutsche Umwelthilfe. Sie führt einen zig-fachen Anstieg der Feinstaubwerte in der Silvesternacht ins Treffen. Spitzenreiter war heuer München mit +911 Prozent. Aber auch der dramatische Anstieg von Sachbeschädigung, Verletzung und Gewalt in der Silvesternacht, macht der Umwelthilfe Sorgen. Leider wurden zu Silvester auch Personen beim Umgang mit Raketen getötet und oft sind völlig unbeteiligte Personen betroffen. Mit aktuell 95.000 Unterschriften von 14 Organisationen treten Deutsche für ein Böllerverbot ein und haben die Politik zum Handeln aufgefordert.

Für viele Raketen-Fans bedeutet das Silvesterfest zunächst lange, riskante Reisen über die Grenze, um „günstig“ einkaufen zu können.

Bild 5 Quelle: Zoll/Dresden. Kleintransporter beladen mit explosiver Pyrotechnik. Deutsche Zöllner stellen Pyrotechnik mit einem Gesamtgewicht von 1084 Kilogramm an der deutsch-tschechischen Grenze sicher. Die Nettoexplosionsmasse betrug etwa 150 Kilogramm.

Nicht weniger zeitintensiv, dafür aber ungefährlich, geht es beim Werksverkauf in Deutschland zu, wo tausende Einkäufer schon mal 24 Stunden in der Warteschlange für ein Schnäppchen ausharren. Hat man sich mit dem notwendigen „Material“ eingedeckt, ist die erste Hürde genommen. Ins neue Jahr „rutschen“ ist jedoch per se schon nicht ungefährlich. Man kann das Gesundheitsrisiko zum Jahreswechsel gleich mehrfach herausfordern. Wer es zum Beispiel schafft, nicht auszurutschen, kann sich noch bewusstlos saufen, voll kiffen oder deppert fressen. Sogar das Risiko einer mentalen Störung durch das TV-„Silvesterprogramm“, dürfte nicht unerheblich sein. Einschlägige Studien darüber sind jedoch noch nicht bekannt. Hat man all diese gängigen Silvester Risiken unbeschadet überstanden, kann man noch immer damit rechnen, dass einem jemand einen Feuerwerkskörper, nur so zum Spaß, ins Auge schießt. Besser ist es jedoch, man verliert selber ein paar Fingern, wenn die Rakete bereits in der Hand explodiert. In diesem Jahr wollte sich ein junger Mann anscheinend wie Wan Hu, der sagenhafte Mandarin, auf den Mond schießen. Wan Hu kreist vielleicht noch in der Erdumlaufbahn. Man weiß es nicht. Der Nachahmer landete jedoch im Krankenhaus.

Bild 6: Nach einer alten Legende versuchte ein chinesischer Beamter namens Wan-Hu einen Flug zum Mond mit einem großen Korbstuhl, an dem 47 große Raketen befestigt waren. Gemeinfrei. Mit freundlicher Genehmigung von http://history.msfc.nasa.gov/rocketry/06.html

Man kann das Gesundheitsrisiko bei der Pyrotechnik durch Heimkaufen reduzieren, sagt die Wirtschaft. Viele Verletzungen zu Silvester entstehen angeblich nur durch illegale Waren aus dem Ausland, welche in Österreich gar nicht zugelassen sind. Nur, Feuerwerkskörper die bei uns in den Handel kommen, stammen ebenso hauptsächlich aus China wie jene, die in Tschechien oder anderswo über den Ladentisch gehen. Meist sind sie sogar von der gleichen (deutschen) Firma, die in China produzieren lässt. Man könnte sogar von einer deutschen Weltmonopolstellung bei der Herstellung pyrotechnischer Waren sprechen. Der Verdacht liegt also nahe, dass es bei der Warnung vor „ausländischer“ Ware, hauptsächlich um den Schutz des inländischen Marktes geht. Da geht es nämlich tatsächlich um jede Rakete, weil innerhalb weniger Stunden der Großteil einer Jahresproduktion umgesetzt werden muss. Die „wir sind sicher“ Beteuerungen der heimischen Anbieter relativieren sich auch, wenn man die grundsätzliche Diskussion über Sinn- und Unsinn von Feuerwerken im In- und Ausland vergleicht. Die Feuerwehr in Tschechien zum Beispiel weigert sich „Tipps“ für den Umgang mit Raketen zu geben. Sie empfehlen anders als ihre österreichischen Kollegen, ganz auf die Knallerei zu verzichten. Die Grünen, sonst die „Verbotspartei“ schlechthin, schweigt in Österreich zur lautesten Nacht des Jahres. Die Grünen in Tschechien befördern vehement den Ausstieg von der privaten Schießerei und begründen das sehr genau.

Wir, die „guten“ Pyrotechnikanbieter, verkünden derweil, dass ohnehin der Umweltgedanke ganz oben auf der Agenda steht. Plastikanteile bei den Raketen werden vermieden, alle Materialien sind abbaubar und sowieso werden Kompensationszertifikat gekauft, damit irgendwo ein paar Bäume gepflanzt werden können. Das funktioniert ähnlich wie beim kirchlichen Ablasshandel. Es wird jedoch gerne vergessen, dass es dabei nur um den Straferlass geht und nicht um die Sünde selbst. Darüber hinaus werden von offizieller Stelle alljährlich Beschränkungen auferlegt, die ohnehin niemand kontrolliert und folglich nutzlos sind. Verletzung und allenfalls Todesfälle werden gezählt und in der Statistik verräumt. Luftschadstoffe, so sie überhaupt gemessen werden, sind als unbedeutende Momentaufnahmen dargestellt und fallen nicht ins Gewicht. Jedenfalls alles kein Grund, um den wirtschaftlichen Erfolg der Knallerei zu verhindern.

Bilder 7-8 Quelle: Umweltbundesamt, LRG-Kärnten. Den dramatischen Anstieg der Feinstaubwerte durch die Silvesterknallerei erkennt man erst im Detail und wenn Fakten nicht verschleiert werden. Übersichtsangaben dienen als „psychologische Glaubuli“

Man könnte, ja man sollte sogar, jenem flüchtigen und rasch vergänglichen magischen Moment des Jahreswechsels wieder die Bedeutung geben, die er einst hatte. Ein sinnstiftender Brauch, eine Tradition, von der nachfolgende Generationen durch kulturelle Werte profitieren können – was für eine schöne Vision. In Verbindung mit den heute technischen Möglichkeiten, wie Lasershows, Drohnenvorführungen begleitet von Musik, könnten maßvolle Feuerwerke vielleicht sogar mehr Menschen jeder Generation für ein gemeinsames (auch lukratives) Erlebnis anlocken, als die seichte Kracherei, die längst überhandgenommen hat. Es gibt sogar bildende Künstler von Weltrang, wie der chinesische Cai Guo-Qiang, der imstande ist, großformatige Bilder mit pyrotechnischen Möglichkeiten zu schaffen. Vielleicht will eine kriegslüsternde Gesellschaft aber gar keine kulturellen Ablenkungen…

Welche Auswirkungen hat Feinstaub (PM) auf die Gesundheit?

Feinstaub enthält mikroskopisch kleine Feststoffe oder Flüssigkeitströpfchen, die so klein sind, dass sie eingeatmet werden können und ernsthafte Gesundheitsprobleme verursachen. Hinreichend wissenschaftlich belegt sind schwere Schädigungen an Herz und Lunge. Einige Partikel können tief in die Lungen und einige sogar in den Blutkreislauf gelangen. Partikel mit einem Durchmesser von 2,5 Mikrometern oder noch weniger, stellen das größte Gesundheitsrisiko dar. Genau die werden aber bei unseren amtlichen Messstellen selten gemessen und die Immissionsgrenzwerte sind generell zu hoch (PM10 – 50 µg/m³; PM2,5 – 25 µg/m³). In den USA hat man den sehr gefährlichen PM2,5 Grenzwert von 12 bereits auf unter 10 µg/m³ reduziert. Die EU möchte dem erst ab 2030 folgen.

Bild 9 Feinstaub Größenverhältnis; Quelle: EPA/USA

Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans sagte: „Jedes Jahr sterben Hunderttausende Menschen in Europa vorzeitig und noch mehr leiden an Herz- und Lungenerkrankungen oder an Krebserkrankungen, die durch Schadstoffe in der Umwelt verursacht werden. Je länger wir den Kampf gegen die Umweltverschmutzung aufschieben, desto höher sind die Kosten für die Gesellschaft. Wir wollen bis 2050 erreichen, dass unsere Umwelt frei von Schadstoffen ist“. Besonders eilig hat es der Knabe anscheinend nicht mit seinen Gesundheitsplänen. 30 Jahre „Atemlos durch die Nacht, (vielleicht) ein neuer Tag erwacht“ ist auch keine überlebensfähige Option. (PB)