…Und dann wird weiter gestorben
Unfälle an Bahnübergängen haben viele Ursachen. Alljährlich sind Todesfälle, Schwerverletzte und große Sachschäden zu beklagen. Mediale Aufmerksamkeit garantiert, ist danach immer die Schuldfrage entscheidend. Ebenso garantiert ist „menschliches Versagen“ die Grundlage für das Wording. Diese „Expertise“ wird hoch professionell eingesetzt, schützt den Infrastrukturbetreiber und macht Opfer zu Tätern.

Seit 2009 veranstaltet der Internationale Eisenbahnverband (UIC) am 5. Juni den „Tag der Sensibilisierung für Bahnübergänge (ILCAD)“, weil regelmäßig Menschen an schienengleichen Bahnübergängen sterben. Ein Problem, dass auch nach 200 Jahren Eisenbahngeschichte noch nicht gelöst ist. Und es sieht nicht danach aus, als könnte man den Gedenktag bald abschaffen. Der Gedenktag für „mehr Sicherheit“, wird regelmäßig auch zum „Tag der Anklage“ – ohne es bewusst zu thematisieren. Vielmehr soll mit der Kampagne Menschen grundsätzlich „geholfen“ werden, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Soll heißen, mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit will man die Regeln im Bereich von Bahnübergängen vermittelt und schließlich auch konsequent durchgesetzt. Man geht nämlich davon aus, dass Unfälle an Bahnübergängen fast immer „menschliches Versagen“ sind und meint damit natürlich die Opfer. Tatsächlich gibt es viele Gründe, warum sich Menschen selber oder andere beim Überqueren von Bahnübergängen in Gefahr bringen. Dummheit steht auf der Liste wohl ganz oben. Aber auch Alkohol, Drogen, Umwelteinflüsse oder Unachtsamkeit können Unfälle auslösen. Ein Zug kann die Gleise nicht verlassen. Was sich ihm in den Weg stellt verliert. Darauf kann man sich gesichert verlassen.

Zusätzlich geht es bei ILCAD um die Frage, welche Technologien angewendet werden können, damit sich Menschen bei Bahnübergängen richtig verhalten und Unfälle vermieden werden. Man denkt also darüber nach, welche technischen Maßnahmen zur Sicherung bestehender Bahnübergänge sinnvoll sein könnten, bevor man an eine Beseitigung denkt. Bei der ÖBB investiert man dafür jährlich etwa 25 Mio. Euro. Grundsätzlich ist das Thema Bahnübergänge nicht zu verwechseln mit der Warnmeldung „Personen im Gleis“, wo es darum geht, dass Personen Gleisanlagen betreten und so einen Sicherheitsalarm im Bahnverkehr mit fatalen Folgen auslösen. Bahnübergänge sind eine Infrastruktur Maßnahme dessen Errichtung viele Gründe haben kann und deren Absicherung keiner einheitlichen Regel unterliegt, sondern individuell durch die Eisenbahnbehörde geregelt ist. Daher ist die Sicherheit an Bahnübergängen auch vielfältigen Änderungen unterworfen. Eine geänderte Verkehrslage zum Beispiel, kann die Sicherheitsfrage völlig verändern. Außerdem gibt es die fehlerfreie technische Lösung nicht und wird es nie geben. Selbst wenn Bahnbetreiber einräumen, dass die technischen Fehler „im vernachlässigbaren Bereich“ liegen, heißt das doch nur, dass es sie jedenfalls gibt.

Experten sprechen daher davon, dass der sicherste Bahnübergang der ist, den es gar nicht gibt. Es ist auch durchaus das Bestreben der Infrastrukturbetreiber, bestehende Bahnübergänge zu beseitigen und alternativ Unter/Überführungen zu bauen. Eine Maßnahme, die allerdings nicht immer umsetzbar, jedenfalls aber mit Kosten verbunden ist, an denen die Umsetzung oft scheitert oder verzögert wird. An dieser Stelle kann man sehen, dass sich die Einsparung der Kosten für den verlässlichen Schrankenwärter nicht gelohnt hat. Es ist daher wichtig festzuhalten, dass Bahnübergänge zunächst ein Infrastrukturproblem sind, wo bei Unfällen in der Regel der Zug als Sieger vom Platz geht. Medien haben die Verantwortung, auf dieses Ungleichgewicht im Verkehr hinzuweisen. Die Kleine Zeitung berichtete vor wenigen Tagen zum Beispiel von einer „Serie an Unfällen mit Schulkindern“, bei denen drei Kinder getötet wurden. Die Zeitung vermittelt mit der tragischen Nachricht einen falschen Eindruck von den unterschiedlichen Unfallursachen. Ein tödlicher Unfall passierte nämlich im Straßenverkehr mit einem LKW und zwei Todesfälle passierten auf unbeschrankten Eisenbahnkreuzungen. In welchem Zusammenhang die Unfälle an den Bahnübergängen mit einer säumigen Infrastrukturpolitik stehen, geht aus dem Zeitungsbericht nicht hervor. Möglicherweise bezog sich die Einordnung „menschliches Versagen“ in diesen Fällen nicht auf die Opfer, sondern auf die (Un)Täter. Eisenbahnunternehmen haben grundsätzlich den gesetzlichen Auftrag, einen „sicheren Betrieb zu gewährleisten“. Das bezieht sich nicht nur auf das Verkehrsmittel, sondern auch auf die Eisenbahnanlagen und Betriebsmittel. Die Frage ist also nicht, wann die Sicherheit an Bahnübergängen aus Kostengründen gewährleistet werden kann, sondern ob die Leistung der Konzession entspricht. Die Straßenverkehrsordnung befreit jedoch den Bahnbetreiber sozusagen von seiner Gewährleistungspflicht und überträgt die Verantwortung an den Verkehrsteilnehmer. Ungeachtet dessen, forderte der Rechnungshof 2023 mehr Tempo beim Sicherheitsausbau an Bahnübergängen. Man hat dort also doch ein Versäumnis festgestellt. Zu den aktuellen Todesfällen spricht man beim Kuratorium für Verkehrssicherheit von „fehlender Infrastruktur“. Auch da hat man Nachholbedarf erkannt.

Begleitet werden die Unfälle an Bahnübergängen von einer erstaunlichen Gelassenheit und Schweigespirale. Die Wirtschaft, sonst bei jeder Störung schnell auf der Palme, hält sich aus der Debatte komplett heraus, obwohl sehr viel Arbeitszeit an geschlossenen Bahnübergängen regelrecht liegen bleibt. Hilfsorganisationen und Gesundheitspolitik schimpfen zwar über ein paar Öko-Straßenkleber, schweigen aber beharrlich über andauernde und lange Wartezeiten an geschlossenen Bahnübergängen. Der Landeshauptmann, als Eisenbahnbehörde zuständig für die Sicherung von Eisenbahnkreuzungen bei Nebenbahnen, hat vermutlich die Infrastrukturkosten im Blick und duckt sich weg – nach dem Motto, wer sich aufregt bezahlt. In der Verkehrsstatistik sind Todesfälle wegen säumiger Infrastrukturpolitik natürlich kein Thema. Gar nicht wenige Personen, ob Bauern oder Anrainer, haben oft aus privaten Gründen gar kein Interesse an einem Sicherheitsausbau „ihrer“ Bahnübergänge. So wird wohl noch lange Zeit am „Internationalen Tag für mehr Sicherheit an Eisenbahnkreuzungen“ eine „Verbesserung“ beklatscht – und dann wird weiter gestorben.