Immerwährende Freundschaft?

„Wenn man in der Nähe von Basel den Finger in das Rhein-Wasser taucht und er riecht nach Kühen, dann weiß man, man ist in der Schweiz. Riecht der Finger nach Schweinen, ist man bereits auf deutschem Gebiet“. Nicht immer lassen sich Grenzfragen, territoriale Ansprüche und Volksgruppen-Fragen so einfach und pointiert erklären. Meistens ist es viel komplizierter und in jeder Friedensvereinbarung keimt bereits die Wurzel für den nächsten Konflikt.

In diesem Zusammenhang und eingedenk der unglaublich komplizierten europäischen Geschichte, ist es mehr als verwunderlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die Europäische Gemeinschaft weitreichende Maßnahmen im Vertrauen auf die „Immerwährende Freundschaft“ zwischen den Mitgliedsländern setzt. Selbst der schmerzliche Austritt Großbritanniens aus der EU, die teure Erfahrung mit Griechenland oder jetzt die Zitterpartie mit Rumänien, haben anscheinend nichts am bedingungslosen „Ehevertrag“ der Mitgliedsländer geändert. Natürlich, es gibt Regeln und Verträge, doch wie „situationselastisch“ diese respektiert werden, sieht man am Beispiel Ungarn oder wie generell mit Vertragsverletzungsverfahren umgegangen wird. Kurzum, die „Immerwährende Freundschaft“ zwischen den EU-Mitgliedsländern ist ein frommer Wunsch, der hoffentlich in Erfüllung geht. Störfeuer gibt es genug.

Jedes einzelne Mitgliedsland hat eine „Leiche“ im Keller und manche haben gleich mehrere. Nehmen wir Österreich, wo zum Beispiel die sogenannten Beneš-Dekrete nach 80 Jahren noch immer die gute Nachbarschaft zu Prag und Bratislava trüben. Dafür sorgen allein die Vertriebenenverbände, die ihre Aufgabe auch im Jahre 2025 noch immer im „Erinnern – Bewahren – Gestalten“ sehen. Ebenso köcheln die AVNOJ – Bestimmungen vor sich hin. Sie hatten u.a. zur Folge, dass allein vom Gebiet des heutigen Sloweniens etwa 35.000 Deutschsprachige vertrieben oder ermordet wurden. Angesichts der ungarischen Alleingänge in der Union sollte vielleicht auch die Entwicklung um die Frage von „Deutsch-Westungarn“ (Burgenland) nicht übersehen werden. „Nem! Nem! Soha!!“ (Nein! Nein! Niemals!!), war keine Resignation Ungarns zum Verlust ihres Staatsgebietes, sondern einzementierte Gebietsansprüche, die darauf warten, aufgeweckt zu werden. Die „Südtirolfrage“ musste unter Zugzwang vor dem EU-Beitritt Österreichs „gelöst“ werden. Doch ist sie das endgültig? Vor allem die FPÖ hat ein wachsames Auge auf den Autonomiestatus und nützt jede Gelegenheit daran zu erinnern, dass Österreich und nicht Italien die Schutzmacht der deutsch/ladinischsprachigen Bevölkerung ist. Im Vergleich zu all dem, ist die Grenzfrage am Bodensee noch das kleinste Problem. Da gibt es zwischen Österreich und der Schweiz zwar auch kontroverse Auffassungen, doch hier muss man eher aufpassen, dass Vorarlberg sich nicht irgendwann für die Schweiz entscheidet und ganz andere Grenzverhältnisse entstehen.

Warum werden die Ortstafeln in Kärnten nicht auch römisch und keltisch beschriften? Das könnte wenigstens touristisch nützlich sein und Gäste aus Rom und Gallien erfreuen. Bild: Peter Baumgartner

Neben der Südtirolfrage ist wohl die „Artikel 7-Debatte“ die Kellerleiche, die momentan eine „Immerwährende Freundschaften“, nämlich die mit Slowenien, stark auf die Probe stellt. Nach slowenischen Schätzungen leben etwa 50.000 Slowenen in Österreich (Kärnten, Steiermark). 70 Jahre (!) nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages schwelt noch immer der Konflikt zwischen der slowenischen Minderheit und Österreich, weil – wie die Slowenen behaupten, ihre rechtmäßigen Ansprüche noch immer nicht erfüllt sind. Trotzdem wird diese Frage nach Kräften unter den Teppich gekehrt. „Nur nicht darüber reden, dann erledigt sich’s vielleicht von selbst“, meint Anneliese Rohrer, die Grande Dame des Journalismus, zur österreichischen Kunst der Problembewältigung. Außerdem findet Rohrer, Politiker wissen, dass man mit der Minderheitenfrage keine Wahlen gewinnen kann. Tatsächlich polarisiert das Thema erheblich. Nicht nur der leidige, weiterhin ungelöste Ortstafelkonflikt, auch die Gegenforderung nach Anerkennung der österreichischen Minderheit in Slowenien, steht regelmäßig zur Diskussion. Zum „70. Jubiläum“ gab es ein neues Aufwärmen der „Kellerleiche“. Erstmals hat das slowenische Parlament eine von der slowenischen Regierung unterstützte, schriftliche Erklärung verfasst und damit Österreich aufgefordert, den Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag gegenüber ihrer Minderheit endlich nachzukommen. Die slowenische Parlamentspräsidentin bezeichnete es als „Drama“, dass die slowenische Sprache als Folge der österreichischen Politik zurückgegangen ist. Österreich schweigt. Unterstützt werden die slowenischen Forderungen tatkräftig von der Kärntner Nationalrätin Olga Voglauer, die „vollumfängliche Rechte in allen Lebensbereichen“ für die slowenische Volksgruppe einfordert. Rudi Vouk, ein Vertreter der slowenischen Volksgruppe in Kärnten, appellierte sogar an die slowenische Politik, sie möge ihre Rolle als „Beschützer“ der slowenischen Minderheit in Kärnten wahrnehmen.

Vorsitzender Christoph Staudacher: Herr Abgeordneter! Die Amtssprache im Kärntner Landtag ist Deutsch, und ich würde bitten, das auch dementsprechend so handzuhaben! Wenn Sie sich nicht daranhalten, ermahne ich sie zum letzten Mal und gebe Ihnen einen Ordnungsruf! (Kärntner Landtagssitzung / 27.7.2023)

Ungewöhnlich! Zum „70. Jubiläum“ hat sich der Leiter des Volksgruppenbüros im österreichischen Außenministerium, Gregor Schusterschitz, zu Wort gemeldet. Er räumte ein, dass tatsächlich noch nicht alle Verpflichtungen aus dem Artikel 7 erfüllt sind und gab unumwunden zu, dass es schon viel zu lange dauert. Jedoch, so der Diplomat, ist Konsens in der Gemeinschaft wichtig, um weiterzukommen. Heißt in Übersetzung der Diplomatensprache wohl – weiter warten. Zusätzlich Salz in die offenen Wunden streute erst kürzlich die steirische FPÖ-Landesregierung mit dem Ansinnen, das Dachsteinlied als Landeshymne in die Landesverfassung zu schreiben. Slowenien sieht darin prompt eine Provokation, weil in dem Lied aus dem 19. Jahrhundert slowenisches Staatsgebiet besungen wird und somit möglicherweise Gebietsansprüche interpretiert werden könnten. Damit nicht genug. Eine Studenten-Demo in Wien, forderte die Umsetzung des Artikel 7 und darüber hinaus auch gleich eine weitreichende Reform des Volksgruppengesetzes. Verwunderlich war, dass an der Demo die Sozialistische Jugend teilgenommen und die Minderheiten-Politik Österreichs kritisiert hat. Verwunderlich deshalb, weil ausgerechnet ihr Parteichef, Landeshauptmann Peter Kaiser in Kärnten, zuständig für die Volksgruppenpolitik, sich als Schutzpatron der Kärntner Slowenen positioniert hat und alles unternimmt, um „seiner“ Volksgruppe zu dienen. Kaiser stellte im letzten Volksgruppenbericht (2024) fest, dass die slowenische Volksgruppe in Kärnten „bestmöglich unterstützt wird“ und dass die Identität der Volksgruppe für die Zukunft gesichert ist. Allerdings ist es so, dass bei vielen offiziellen Volksgruppenmaßnahmen die Mehrheitsbevölkerung nicht mitgenommen wird. Zwar ist das auch eine Holschuld, doch wenn man selbst in der Landeshauptstadt kaum slowenisch sprachige Zeitungen kaufen kann, dann klingt der vermeintliche Wille zur Sprachförderung verlogen. Einerseits wird also eine Feigenblatt-Volksgruppenpolitik betrieben, anderseits hat die slowenische Volksgruppe in Kärnten ohnehin einen Sonderstatus. Durch die „Wahlhilfe“ der Landtagspartei „Team Köfer“ ist es ihr nämlich 2023 gelungen, ein Mitglied der kleinen Slowenen-Partei „Enotna Lista“ in den Kärntner Landtag zu wählen. Dort sitzt nun der Kärntner Slowene mit gesetzgeberischer Legitimation und ist gleichzeitig in zwei Parteien aktiv. Ein österreichisches Unikum. Die Slowenen rechtfertigen den Deal als „Privatvergnügen“ ihres Mitgliedes, der ist seinem Kärntner „Wahlhelfern“ dankbar und der „Wahlhelfer“ ist – ob der Zugewinne slowenischer Stimmen, der große Gewinner der Landtagswahl. Alle sind zufrieden, sogar die Medien halten die Füße still. Nur ein paar Abgeordnete im Landtag fühlen sich überrumpelt. Obwohl Deutsch die alleinige Landtagssprache ist, versucht der slowenische Landtagsabgeordnete (Franz Josef Smrtnik) immer wieder, seine Wortmeldungen mit slowenischen Ergänzungen zu „bereichern“. Zur Verbesserung der „Immerwährenden Freundschaft“ zwischen Kärntnern und Slowenen hat leider auch das nicht beigetragen.

Die Filmemacherin Adriana Mračnikar erzählt in ihren Filmen, was sie und ihre slowenische Volksgruppe empfinden, wenn Symbole, Identität und Sprache verschwinden oder offen bekämpft wird. Gleichzeitig erzählt der slowenische Literat Goran Vojnovic, wie elend es den Čefuri (jugoslawischer Gastarbeiter) in Slowenien ergeht. Dann beklagen sich „echte“ Österreicher, dass Volksgruppen alles wollen und auch bekommen und die hadern wieder damit, dass niemand sie haben will und ihre Widerstandskraft in Selbstzweifel aufgeht. Wie tragfähig eine „Freundschaft“ ist und ob sie „immerwährend“ ist, hängt also immer von unmittelbaren Erlebnissen und Gefühlen ab, die wiederum oft über Jahrzehnte verschleppt werden. Manchmal dauert es sogar Jahrhunderte, bis sich „Freunde“ die Köpfe einschlagen. Es ist quasi der fleischgewordene Topophilia Effekt, der von Generation zu Generation vererbt wird. Traurige Realität ist, „Immerwährende Freundschaft“ gibt es nicht. Von Zeit zu Zeit braucht es vielleicht einen Sprachguru wie Günther Nenning, damit die Gedanken im Kopf ihre Richtung ändern können: „Nichts ist deutscher als die Kärntner, weil sie alle Slowenen sind…“

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