Net amol ignorieren!
Der ursprüngliche Grundgedanke der Europäischen Gemeinschaft für den Umweltschutz vor etwa 50 Jahren bestand darin, mögliche Umweltbelastungen schon von vornherein zu vermeiden, statt nachträglich die Auswirkungen zu bekämpfen. Dieser Plan ist gescheitert, wie wir heute wissen. Eingetreten ist genau das Gegenteil. Die Folgen des Klimawandels fliegen uns längst um die Ohren und es ist keineswegs absehbar, dass sich das Individuum Mensch an neue Herausforderungen anpassen wird können.

Bild: Peter Baumgartner
Eine harmonisierte Vorschrift, um die menschliche Gesundheit durch verbesserte Umweltbedingungen zu schützen, für die Erhaltung der Artenvielfalt zu sorgen und das Ökosystem als Lebensgrundlage zu erhalten, war und ist die sogenannte Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für bestimmte Projekte. Ein einziger Satz in dieser grundsätzlich guten Richtlinie sorgte jedoch von Anfang an dafür, dass der Erfolg der Idee ausblieb: „Die Mitgliedsstaaten können in Ausnahmefällen Projekte ganz oder teilweise von den Bestimmungen der Richtlinie ausnehmen.“ Damit wurde aus einer Richtlinie eine „Kannbestimmung“ mit den erwartbaren Konsequenzen. Von Beginn an suchte und fand die Wirtschaft „Partner“ in der Politik und bei den Behörden, um ganz oder teilweise aus den umfassenden Prüfungen für ihre Projekte herauszukommen. Meistens ganz legal und unter Ausnützung der „Ausnahmefälle“. Anderseits mussten und müssen über viele UVP-Bescheide Gerichte entscheiden, weil manche Bürger und NGOs keine andere Wahl haben, als ihre Einspruchsrechte wahrzunehmen. Diese wäre gar nicht notwendig, würden UVP-Behörden und die Umweltpolitik ihren Job machen. Selten führen die – ohnehin mageren, Einspruchsrechte der Bürger zum Erfolg und wenn, ist es nur ein „Sieg“ mit Ablaufdatum. Das ist kalkulierte Bürgerbeteiligung.
Gelegentlich treiben es die UVP-Behörden zu bunt und bringen Gerichte und Bürger gleichermaßen zur Weißglut. So nötigte eine steirische UVP-Behörde das Gericht zur Feststellung, „Ich weiß nicht, was in Ihrer Abteilung rennt, aber es muss furchtbar sein.“ Sogar im Nationalrat wurde wahrgenommen, dass es in der steirischen UVP-Behörde einen „Sauhaufen ohne Ende“ gibt. Folgen hatte es jedoch keine und es wurde auch kein einziger Bescheid aus der „Sauhaufen-Behörde“ aufgehoben. In einem anderen Fall hat sich eine Chefredakteurin aufgeregt, weil sich politisch Verantwortliche, Projektbetreiber und Investoren einfach trickreich über Rahmenbedingungen der UVP hinwegsetzen können. Sie nannte es eine „Verhöhnung“ des Gesetzgebers. Manchen Spitzenbeamten unterstellte die Redakteurin „vorauseilenden Gehorsam“ und falsch verstandene Wirtschaftsförderung. Gleichzeitig wurde inzwischen mit dem sogenannten „Standortanwalt“ ein Gatekeeper installiert, der den Entscheidungsfindungsprozess bei UVP-Verfahren im Sinne der Industrie und Wirtschaft beeinflusst. Noch weiter geht die Kärntner Landespolitik. Sie gewährt der Wirtschaft sogar ein eigenes Büro in der Landesregierung, weil die schon bestehende räumliche Nähe zur Wirtschaftskammer in Sichtweite noch zu weit entfernt ist, um „schnellere Verfahren“ zu gewährleisten. Doch das reicht den Politikern noch immer nicht. Um „lästige“ Bürger schachmatt zu setzen, werden sogar private Gutachter angeheuert und bezahlt, um die Amtssachverständigen zu „koordinieren“. Das grenzt fast schon an „Auftragskiller“ – ist aber gesetzeskonform.

Bild: Peter Baumgartner
Der letzte Rest einer Europäischen Umweltpolitik ist das „Vertragsverletzungsverfahren“ in der EU. Ein juristisches Instrument, um säumige Mitgliedsländer wieder auf Kurs zu bringen. Viele Länder, auch Österreich, bewerten dies inzwischen als lässliche Sünde und spielen offensichtlich bewusst auf Zeit. Die ersten Warnungen aus Brüssel werden grundsätzlich „net amol ignoriert“. Bis zur ultimativen Aufforderung, eine Rechtsverletzung zu bereinigen, bevor es zum EuGH geht, vergehen Jahre. Die Medien nehmen kaum noch Notiz davon und betätigen sich eher als Ignoranz-Helfer. Da erregt eine Messerstecherei in den USA selbst in Qualitätsmedien weit mehr Aufmerksamkeit, als eine parlamentarische Rechtsbeugung in Österreich. Nur wenn Ungarn am Pranger steht, kommt etwas Bewegung in die Redaktionsstuben. So auch im aktuellen Fall, wo es (schon wieder) um die nicht konforme Umsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) geht. Eine UVP ist aber eben nicht irgendeine entbehrliche Belästigung der freien Wirtschaft. Vielmehr sollen damit irreparable Umweltschäden im Vorfeld vermieden werden. Es ist also keineswegs egal, ob sich Projektwerber per Gesetz daranhalten, oder Dank parlamentarischer Untätigkeit nach eigenem „Ermessen“ handeln. Es ist ohnehin gelebte Praxis, dass nur ganz wenige Projektanträge tatsächlich in eine Umweltverträglichkeitsprüfung münden. Im Durchschnitt der letzten 10 Jahre, haben die UVP-Behörden in Österreich festgestellt, dass in 95 % der Fälle keine UVP-Pflicht besteht. In Kärnten scheint es überhaupt eher „Zufall“ zu sein, dass eine UVP-Pflicht erkannt wird. Nahezu alle Anträge enden in einem „vereinfachte Verfahren“ oder sind „nicht UVP-pflichtig“. Die Garantie, dass im Sinne von Projektwerbern entschieden wird, ist also sehr hoch. Vor diesem Hintergrund ist das aktuelle Vertragsverletzungsverfahren der EU zu sehen. Dort heißt es, Österreich gewährleistet keine angemessene Prüfung, ob Projekte schädliche Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit haben. Und das schon seit mehreren Jahren! Deshalb gibt es jetzt ein Ultimatum von zwei Monaten, um den EU-Vorgaben zu folgen. Inhaltlich geht es im Rechtsstreit um elementare Themen wie die unzureichende Prüfung kumulativer Umweltauswirkungen, fehlende Prüfkriterien und fragwürdige Schwellenwerte. Alles Themen, die spätestens bei der letzten UVP-Novelle 2023 hätten gelöst werden können. Stattdessen hat sich die damalige Umweltministerin dazu entschlossen, eine Novelle zur Abstimmung zu bringen, die im Kern ein Rohrkrepierer war. Beschlossen wurde das Gesetz mit Parlamentsmehrheit trotzdem. Bürger, die mit einem derartigen Umgang ihrer Umwelt nicht einverstanden sind, stehen auf verlorenem Posten. Sie stehen einer Armee von Gutachtern und Anwälten gegenüber, die zum Teil sogar vom eigenen Steuergeld finanziert werden und müssen zuschauen, wie EU-Recht missachtet und Lebensumwelt vernichtet wird. Denn passiert ist passiert. Selbst wenn Österreich in zwei Monaten den EU-Forderungen nachkommt, ein inzwischen abgeschlossenes Verfahren wird dennoch nicht aufgehoben oder gar wiederholt. Es zahlt sich also aus, auf Zeit zu spielen. Ist ja „nur“ die Umwelt und die Demokratie, die dabei auf der Strecke bleiben.