GO! BORDERLESS

Seit 40 Jahren wird die „Europäische Kulturhauptstadt“ ausgelobt, die dann ein Jahr lang in den kulturellen Mittelpunkt Europas rückt. Die Auswahl, die Finanzierung und erst recht das Kulturprogramm, sorgen regelmäßig für Aufregung und für mittleres Kulturbeben, wie man zuletzt 2024 im Salzkammergut gesehen hat.

An manchen Jahren wurde nur eine Stadt geadelt, aber es gab auch schon mehrere Kulturhauptstädte gleichzeitig. Die Vorausplanungen laufen aktuell bis zum Jahr 2033! So kompliziert ist die Entscheidungsfindung. Im 40. Wahljahr haben Chemnitz und die Grenzstädte Nova Gorica/Gorizia den Staffelstab übernommen. Naheliegend war daher, als Slogan für die slowenisch/italienische Zusammenarbeit den Titel „GO! BORDERLESS“ zu wählen. Grenzen niederreißen ist sowieso immer ein kulturelles Ziel, das von der Wirtschaft längst erreicht ist. Genau hier hat sich ein „grenzüberschreitender“ Kulturkonflikt im Zusammenhang mit der Kulturförderung entwickelt, der aktuell nach Österreich ausstrahlt und auch sonst fast regelmäßig zu kontroversen Diskussionen führt, wenn Kunst privat finanziert werden muss.

Wir erinnern uns an die Ausrufung der „Freien Republik Wien“ bei den Wiener Festwochen 2024, die wohl trotz (oder wegen) aller Freiheiten, ausgestattet mit einem 14,4 Mio. Euro Budget, aus gefühlter Unfreiheit geboren wurde. Die „Freien“ haben sich sogleich eine eigene Verfassung – die „Wiener Erklärung“ geschrieben. Einer der zehn Punkte befasst sich mit der Kulturfinanzierung und stellt die provokante Frage, „wer profitiert von der Kultur“. Der selbst gewählte, manifestierte Anspruch soll nach Meinung der freien Republik Führer eine kritische Auseinandersetzung mit der Kulturförderung im Hinblick auf soziale und klimagerechte Aspekte sein. Man will in der Freien Republik ganz genau darauf achten, dass Sponsoren nicht vom Prestige einer Kulturveranstaltung profitieren, wenn sie Greenwashing/Whitewashing betreiben und die Prinzipien des Kulturbetriebes mit jenen des Sponsors nicht übereinstimmen. Sponsoren, die sich also zum Beispiel nicht an Nachhaltigkeitsregeln, sozialen Kriterien und Menschenrechten halten, könnten keinesfalls Sponsoren in der „Freien Republik“ werden. Ob sich das umsetzen lässt, wird spannend zu beobachten sein.

Europäische Kulturhauptstadt Nova Gorica/Gorizia  Quelle: GO! BORDERLESS

Bei den Organisatoren der Kulturhauptstadt 2025 Nova Gorica/Gorizia scheint es jedenfalls nicht gelungen zu sein. Zumindest haben Umweltorganisationen wahrgenommen, dass außer der grenzenlosen Kultur auch der grenzenlosen Umweltzerstörung und Gesundheitsgefährdung, eine Bühne geboten wird. Man hat dort den Zementkonzern ALPACEM als Sponsor an Land gezogen. Der österreichische Konzern mit weltweiten Aktivitäten betreibt auch in Slowenien ein Zementwerk, dass seit Jahren mit heftigen Widerständen aus der Bevölkerung konfrontiert ist. Auch in Österreich wird mit dem Konzern vorrangig Umweltzerstörung und Gesundheitsgefährdung in Zusammenhang gebracht. In Slowenien und in Österreich verfolgt eine grausliche Asbest-Geschichte den Konzern. Seit 2014 gilt das HCB/Quecksilber Desaster in Kärnten als Schandfleck der Unternehmensgeschichte. Im slowenischen Anhovo, unweit der Kulturhauptstadt Görz, wo ALPACEM Zement produziert, geht es nach einer schweren Wasserverunreinigung nun um eine ebenso schwere Luftverunreinigung, die sogar zu einer landesweiten Verschärfung der Umweltgesetze geführt, das Problem aber nicht beseitigt hat. Sind das Ausschließungsgründe für einen Kultursponsor? Nein. Für die Kulturhauptstadt-Veranstalter hatte das keinen Einfluss auf ihre Entscheidung. „Go! Borderless“ ist Programm. Für Kultur und für Luftverschmutzung. Außerdem, aus der Heimat von ALPACEM bringt sich sogar die Kärntner Kulturstiftung ohne Berührungsängste in der Kulturhauptstadt Görz ein. Es soll wohl der kulturelle/wirtschaftliche Schulterschluss demonstriert werden.

Die Umweltorganisationen EKO Anhovo, Legambiente Gorizia APS und Benkadi APS haben einen Protestbrief an die Medien geschrieben. „Zusammenarbeit zwischen Evropske prestolnice kulture (EPK) und den Alpacem-Zementwerken: zwischen Kultur und Schadstoffbelastung“ (Sodelovanje EPK in cementarne Alpacem: Med kulturnim in zdravju skodljivim prahom). Es wird kritisiert, dass die Kulturorganisation trotz eindeutiger Botschaften für grüne Initiativen und Nachhaltigkeit, den Zementkonzern als Sponsor akzeptiert und ihm eine prestigeträchtige Bühne bietet. Man stellt sich in den Umweltorganisationen die drängende Frage, wie das zu den Prinzipien einer so wichtigen europäischen Kulturinitiative passt und fordern die Organisatoren auf, sich vor Ort ein Bild von der Umweltverschmutzung durch ihren Sponsor zu machen. Mit Bedauern nimmt man zur Kenntnis, dass nach den Medien, jetzt auch die „hohe“ Kultur, die Arme weit für Umweltverschmutzer öffnet. Die Kulturgewerkschaften in Slowenien haben sich dem Protest der Umweltorganisationen angeschlossen und fordern ihrerseits, dass der Sponsor ALPACEM noch vor der offiziellen Eröffnung der Kulturhauptstadt ausgeschlossen wird. Italienische und slowenische Medien berichten ausführlich vom Protest der Gewerkschaft und NGOs. Sogar die wichtigste Zeitung in Slowenien, MLADINA, widmet den schweren Vorwürfen einen ausführlichen Bericht.

An dieser Stelle muss man daran erinnern, dass die „hohe“ Kunst in Österreich und in Kärnten, insbesondere in Bezug auf ALPACEM, sich sehr wohl schon kritisch geäußert und keine Rücksicht auf eventuelle finanzielle Nachteile genommen hat. Zum Beispiel hat der Regisseur Martin Dueller in Villach ein viel beachtetes Theaterstück zum HCB-Skandal gespielt. „Bei mir stehen die geplagten Menschen im Fokus“, hat Dueller gesagt und die Skandalgeschichte schonungslos auf die Bühne gebracht. „Mein Grund und Boden“ hieß das Stück. Die Besucher wurden aufgefordert, immer unter den Teppich zu schauen. Darunter verbergen sich oft Dinge, die einem den Boden unter den Füßen entziehen können. Der Landeshauptmann von Kärnten, der all diese Dinge zugelassen und untätig zugeschaut hat, konnte zur Theateraufführung „leider aus terminlichen Gründen nicht kommen“. Auch literarisch wurde der HCB-Skandal aufgearbeitet (Ute Holfelder/Wenn du wüsstest wie schön es hier ist). Die Uni-Klagenfurt widmete der HCB-Geschichte eine von Barbara Maier kuratierte, umfangreiche Ausstellung und ließ betroffene Menschen aus der Region zu Wort kommen. Sogar einige Medien haben die Umweltvernichtung von ALPACEM thematisiert und Katharina Brunner/DATUM hat mit ihrem Beitrag sogar den Österreichischen Umweltjournalisten-Preis gewonnen.

Genützt hat das alles nichts. Im Gegenteil. Die Politik und die Behörden rollen gerade jenen Firmen, die besonders „risikofreudig“ sind, weiterhin den roten Teppich aus. Medien laufen ihnen hinterher und Kulturveranstalter fragen nicht lange, woher das Geld für ihre Gesellschaftsleistung kommt. Das Dilemma ist kaum aufzulösen. Auch weil es gefühlt nur wenige potente Unternehmen gibt, die keinen Dreck am Stecken haben und bereit sind, zum Gemeinwohl beizutragen. Sogar die Salzburger Festspiele mussten schon die schmerzliche Erfahrung machen, dass unanständige Geldgeber in der Öffentlichkeit nicht gut ankommen und das Image eines wertvollen Kulturbetriebes nachhaltig beschädigen. Es war ein Schweizer Künstler, Lukas Bärfuss, der ein europäisches Kulturbeben ausgelöst und „toxisches Sponsoring“ bei den Salzburger Festspielen letztlich beendet hat. Der einzig sichtbare Ausweg könnte eine Kulturpolitik sein, die Kultur in seiner Gesamtheit als das versteht, was sie ist – eine Daseinsfürsorge, die die Gesellschaft erst urbar macht. Das würde auch eine entsprechende Finanzierung nach sich ziehen, die Kulturbetriebe ermächtigt, sich aus den Fängen unsauberer Sponsoren zu befreien. Die Frage ist nur, was wenn der Staat und seine Institutionen selber die erwarteten Voraussetzungen an ein ESG-Programm (Environmental, Social, Governance) nicht mehr erfüllt?

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