Schluss mit „fuggern“!

In Anlehnung an das einstige „Oligarchen“-Geschlecht der Fugger, hat sich bis heute der Begriff „fuggern“ erhalten und der steht für eine typische Geschäftemacherei, die damals dem mächtigen Kaufmannsgeschlecht einen sagenhaften Reichtum beschert hat. Die Geschichte des Alpentransit ist bis heute mit dieser Anrüchigkeit eng verbunden und oft unübersehbar. Rund um die Alpenquerung, insbesondere um den Brenner, wird „gefuggert“, dass sich die Balken biegen.

So schwärmte der Dichter Georg Rösch schon 1557 im Tiroler Landreim über seine Heimat. Lange vorher hatten sich die Fugger bereits zum europäischen Montankonzern entwickelt und wertvolle Rohstoffe aus Europa, auch aus Tirol, in alle Welt transportiert. Damals lebten die Anrainer noch gut von der Brennerstraße und den „Samerzügen“, die umgekehrt auch Samt, Seide, Früchte und Wein aus dem Süden über den Brenner transportierten. Es muss schon damals viel los gewesen sein auf der Alpenquerung. Und die erste Globalisierung hatte auch bereits ihre Opfer. Stichwort: Sklavenhandel. 1867, mit der Eröffnung der Brennerbahn, kam es zur ersten „Transportverlagerung“ von der Straße auf die Schiene. Später profitierten die Anrainer wieder vom Bau der Militärstraßen und der „Wacht am Brenner“. Von da an begleite den Brenner eine unglaubliche Transportzunahme, die man sonst nirgendwo in Europa findet. Die Lautstärke vom Brennertransit, den „Sound of Europe”, hört man mittlerweile längst auch in Brüssel. Aber die „Sklaven“ sind heute die Anrainer in den Tälern entlang der Brennerstraße. Sie opfern ihre Gesundheit für den Profit der Transit-Oligarchen.

Screenshot Europäische Fuggerstraße/Martin Kluger, context verlag Augsburg Gestaltung: Nicole Mielek, concret Werbeagentur GmbH Animation: LIQUID Agentur für Gestaltung

Was den Verkehr betrifft, haben nicht nur die Tiroler, sondern die Europäer insgesamt an ihrer Versklavung tatkräftig mitgewirkt. Man hat sich das Leben und die Umwelt Stück für Stück abkaufen lassen. Immer wieder von „Politfluencern“ geblendet, erhoffte man sich mehr Vorteile als Nachteile. Wahrscheinlich wäre es ohne EU auch nicht anders gekommen. Doch mit der EU wurde das Desaster institutionalisiert. Der österreichische EU-Beitritt war keineswegs eine „gmahte Wiesn“. Insbesondere die Tiroler hatten starke Vorbehalte und es bedurfte viel Überzeugungskraft und sogar bischöfliche Mahnung an die Christenpflicht, um das Stimmvieh in die Arme Europas zu treiben. Am 2. Jänner 1995 öffnete sich unter Abspielung der Europahymne der Grenzbalken am Brenner und die Landeshäuptlinge Durnwalder/Weingartner gaben ihrer Freude Ausdruck. Heute weiß man, bei einem Transitaufkommen von 2,5 Mio. LKW und 11,5 Mio. PKW allein am Brenner Korridor, ist die Alpensaga und das Bauernsterben noch das geringere Problem. „Wir wehren uns, dass die Bevölkerung die Folgen der EU-Verkehrspolitik tragen muss“. Das war schon 1979 der Beginn des heutigen Widerstandes, der schließlich auch regelmäßig auf der Straße ausgetragen wurde. Da waren allerdings noch weniger als 1 Mio. LKW unterwegs und viele „Brennerfahrer“ und „Südtirolerfahrer“ nutzten noch gerne die Einkaufsmöglichkeiten jenseits der Berge. Aber spätestens mit der Errichtung des gemeinsamen Binnenmarktes – noch vor Österreichs EU-Beitritt, war klar, der „freie Warenverkehr“ ist nicht mehr aufzuhalten. Das „Fuggern“ nahm seinen Lauf. Der europäische Aktionsplan für den Alpenraum verfolgt drei Ziele: Wirtschaftswachstum durch Mobilität unter möglichst guten ökologischen Rahmenbedingungen. Von Rücksicht auf Anrainer und partikulare Interessen, ist da nicht die Rede. Es reicht, wenn die Menschen im Stau die „prächtige Natur“ sehen können. Die Berge werden ja eh nicht weniger. Nur die Löcher unten durch, werden mehr und länger. Wenn irgendwann nach 2030 der Brenner Basistunnel fertig gebaut sein wird, wird deshalb nicht ein einziger LKW weniger auf der Straße fahren. Das verkehrspolitische Ziel ist nicht Verkehrsverringerung, sondern Regulierung mit „Fuggerei“. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, endlich ein, den Tatsachen entsprechendes Ministerium zu schaffen: „Ministerium für Militärlogistik, Verkehrslawinen und Stauschauplätzen“ (MiMiVSp). Und statt Raststationen gibt es alle paar hundert Meter ein Dixi Klo für die mittlerweile versklavten „Kapitäne der Landstraße“. Tom Astors 4000-Mann-Streik am Brenner hat eben auch nichts gebracht.

Die gegenwärtige und zukünftige Verkehrslawine ist für den Brenner nicht das einzige Problem. Schon zur Zeit Napoleons und bei den Weltkriegen, hatte die Nord-Süd-Route eine enorme strategische Bedeutung für die Truppenbewegungen. Später, im Kalten Krieg, rückte die taktische Rolle der Route mit der Europabrücke wieder in den Vordergrund. Und jetzt kommt vor dem Hintergrund der generell kritischen Sicherheitslage, die „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ der EU ins Spiel. Eine wichtige Markierung auf dem Weg zur Verteidigungsunion, ist PESCO. Die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (Permanent Structured Cooperation). Ein Vertragswerk, dass auch Österreich als neutrales Land unter Außenminister Kurz und Verteidigungsminister Doskozil unterzeichnet hat, aber öffentlich kaum diskutiert wird. Damit ist schlicht und ergreifend die militärische Zusammenarbeit besiegelt. Kreiskys ehemaliger Sekretär und Diplomat Thomas Novotny meint, dass damit Österreichs Neutralität defacto keine Bedeutung mehr hat. Innerhalb dieser europäischen und NATO Zusammenarbeit hat die „Militärische Mobilität“ (Military Mobility) strategische Bedeutung. Es geht um große, rasche und nahtlose Verlegungen von militärischem Personal und Ausrüstung in der gesamten EU, auf allen Verkehrsebenen und zielt dabei auf unbürokratische Grenzverkehrsgenehmigungen. Also defacto ein „Military Schengen“. Die Peinlichkeit, die 2017 passierte, als ein NATO-Munitionstransport auf dem Weg von Rumänien nach Deutschland am Wochenendfahrverbot in Österreich scheiterte, soll aus der Sicht von NATO/EU nie wieder passieren. Jetzt können sich alle Teilnehmerstaaten darauf verlassen, dass europaweit die für schwere und große Militärtransporte notwendige Verkehrsinfrastruktur vorhanden und ohne Hemmnisse genutzt werden kann – auch in Österreich. „Wir sind KEINE Insel der Seligen“, sagte die (Wirtschafts-)Verteidigungsministerin (27.1.25 ORFIII) und vermittelt dabei den Eindruck, dass sie das ganz gut findet. Das verpflichtet die Mitglieder gleichzeitig, beim Bau oder Modernisierung der Verkehrsnetze, den Bedarf der militärischen Mobilität zu berücksichtigen. Also zum Beispiel eine entsprechende Belastbarkeit für Brücken, oder die richtigen Tunneldimensionen zu gewährleisten. Das macht die Infrastrukturkosten nicht nur wesentlich teurer, sondern schafft auch neue Risiken für die Sicherheit der Bevölkerung entlang der kritischen Infrastruktur. Den betroffenen Anrainern wird hier neben der bereits vorhandenen Umweltbelastung eine neue Bedrohung untergejubelt, über die man sie nicht mal ausreichend informiert und sogar permanent am Parlament vorbei Beschlüsse fasst. Im Kriegsfall zählt die militärische Verkehrsinfrastruktur zu den bevorzugten Zielen. Das ist Fakt. Folgerichtig stellt das Risikobild 2025 der österreichischen Verteidigungspolitik fest, „Kritische Infrastruktur (transalpine Korridore) in neutralen Staaten der EU könnte das Ziel hybrider Angriffe aus Russland werden.“ Na wunderbar! Die Tiroler haben jetzt die Wahl. Vergiftet durch Feinstaub oder begraben unter Autobahntrümmern.

Transalpine Observatori

Egal ob die Gesundheit durch Umweltverbrecher, oder die Kriegsgefahr durch eine vertrottelte Waffenlobby provoziert wird, wir kommen aus dem Dilemma nicht mehr raus. Umweltpolitik hin oder her, Sicherheitsstrategie auf oder ab, wir können uns auf Gefahren und Risiken nur noch bestmöglich vorbereiten. „Anpassen“, raten uns die „selbstlosen Experten“, die uns die Suppe eingebrockt haben und jetzt das „gemeinsame“ Auslöffeln einmahnen. Das Wissen um Murphys Gesetz, wonach passieren wird, was passieren kann, trägt auch nicht zur Hoffnung bei. Aber, und an der Schraube kann die Zivilgesellschaft noch ordentlich drehen, die Bevölkerung hat ein Recht auf umfassende Information zur eigenen Risikoabschätzung und um eigenständige Entscheidungen treffen zu können. Anpassen kann sich nur jemand, der umfassend informiert ist. Dazu gehört eine absolute Ehrlichkeit. Keine Lügen, keine Halbwahrheiten, keine falschen (Wahl)Versprechungen. Da sind Politiker und Medien gleichermaßen gefordert. Was aber jetzt quer durch alle Institutionen passiert, ist das genaue Gegenteil davon. Wer die „Tiroler Bevölkerung schützen“ will meint, sie soll blöd sterben. „Gesundheits- und Umweltschutz der Tiroler Bevölkerung stehen an oberster Stelle“, „Wir haben immer gesagt, der Schutz der Gesundheit und der Schutz der Sicherheit der Menschen in Tirol sind für uns nicht verhandelbar“, „Wir stehen hinter der Tiroler Bevölkerung“ usw. All das klingt nach mehr als dreißig Jahren „Bevölkerungsschutz“ wie eine gefährliche Drohung und nicht hoffnungsfrohe Aussicht auf Verbesserung. Und die Mikrofonständer plappern alles nach, weil sie glauben, so zur geistigen Landesverteidigung beizutragen. Das erklärt auch, warum der aktuelle Demokratiebericht zum Schluss kommt, dass die Tendenz der Entfremdung entlang des Versprechens von Mitsprache schwindet. Nur im obersten Einkommensdrittel herrscht noch satte Zufriedenheit.

Luft ist eine wichtige europäische „Ware“, die im „freien Warenverkehr“ kreuz und quer durch alle Länder gekarrt wird. Sage Herrin Isolde was dich quält, heißt es bei Richard Wagner. „Luft! Luft! Mir erstickt das Herz – rufen auch die Transitopfer.

Dabei könnten einfache Maßnahmen schon hilfreich sein und tatsächlich Verbesserungen bringen. Wenn zum Beispiel der „freie WARENverkehr“ ein Grundpfeiler des Binnenmarktes ist, heißt das ja noch lange nicht, dass die „freien Waren“ überall und mit jedem Transportmittel fahren dürfen. Nicht eine einzige Ware wird unfrei, wenn sie mit einem bestimmten Transportmittel auf einer vorgegebenen Route transportiert werden muss. Glaubhafte Quellen behaupten, bis zu 50 Prozent der Waren fährt auf Routen, wo sie gar nichts verloren hat – nur weil es billiger ist. Stichwort: Kostenwahrheit. Was fraglos unfrei werden muss, sind Leerfahrten. Bei Leerfahrten geht es ja nicht um Waren, sondern um Luft – um sehr, sehr viel Luft. Die wird von unfähigen Transportmanagern auf den Weg gebracht, um die optimale Auslastung der Verkehrsmittel und Infrastruktur zu missbrauchen. Wer will diese Unfähigkeit unterstützen? Ist Dummheit Unionsrecht? Hoffentlich nicht. Und wenn schon die menschliche Intelligenz nicht ausreicht, wir haben ja angeblich die viel bessere Künstliche Intelligenz schon am Schreibtisch stehen. Also, keine Ausrede mehr! Unfrei ist selbstverständlich auch der Menschenhandel. Menschen wird ja wohl niemand als freie „Ware“ bezeichnen wollen. Menschenhandel zählt zu den „Ungütern“ und die schaden der Gemeinschaft. Also müssen wir diese unguten „Transporte“ suchen und wirksam verhindern. Das erfordert Tun und nicht auf den Zufallsfund warten. Drogen, Waffen, Pflanzenschutzmittel, Wildtiere, illegaler Holzhandel, gehört auch dazu. Welcher Verteidiger des freien Warenverkehrs will das alles nicht verhindern? Das wäre ja Beihilfe zur Kriminalität. 116.000 Tonnen illegaler Müll wurde von EUROPOL 2023 aufgegriffen. Garantiert nur ein Bruchteil der tatsächlich illegal transportierten Ungüter. Wer will diesen „Warenverkehr“ nicht verhindern? Und dann gibt es noch den schwunghaften Handel mit radioaktivem Material (auch in Tirol 2015). Ein besonders ungutes Ungut. 2023 wurden der Atomenergieorganisation IAEA (freiwillig) 168 Zwischenfälle beim Transport gemeldet. Seit 1993 summiert sich die Sauerei begünstigt durch den „freien Warenverkehr“ auf 4243 kriminelle Fälle. Dabei ging es um Kernmaterial, radioaktives und kontaminiertes Material. Die organisierte Kriminalität erwirtschaftet weltweit – auch in Europa, hohe Erträge im illegalen Handel mit Drogen, Menschen, Waffen, illegalen Waren und CBRN-Handel (chemische, biologische, radioaktive und nukleare Substanzen) berichtet aktuell UNICRI (United Nations Interregional Crime and Justice Research Institute). Welche kriminelle Energie und Dunkelziffer dahinterstehen, will man sich lieber nicht ausmalen. Ganz offensichtlich wird das alles vom freien Markt und seinen destabilisierten Vertretern als unvermeidbarer Kollateralschaden eines schrankenlosen Europas gesehen. Die österreichische Abfallwirtschaft fordert vor diesem Hintergrund und nach dem aufgeflogenen Kartellskandal doch tatsächlich einen „Abfall-Schengenraum“ mit Abschaffung der Grenzkontrollen. Das klingt schon sehr nach Realitätsverlust.

Die Übergabe des symbolischen „Kolo Wheel“. v.li.: LH Peter Kaiser (Kärnten), LH Anton Mattle, Dominique Hasler, Außenministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Liechtensteins und Tanja Fajon, stellvertretende Ministerpräsidentin und Außenministerin Sloweniens. © 2024-Land Tirol/Leitner

Die Bewältigung der Sicherheitsgefahr entlang der kritischen Infrastruktur ist eine Gesellschaftsaufgabe und darf nicht auf Einzelpersonen und einzelne Regionen abgeladen werden. Anlässlich der EUSALP-Präsidentschaft 2018, hat Bundespräsident Van der Bellen eindringlich das „Miteinander“ beschworen. Miteinander ist immer besser als gegeneinander, hat er gemeint und dass die Alpenregion ein gutes Beispiel für ein gelungenes Miteinander sei. Doch das ist Geschwafel eines Ökonomen der weiß, was Anrainer fordern, bedeutet „Wirtschaftskrieg“. Es gibt in diesem „Spiel“ nur Gewinner und Verlierer, wenn man nicht bereit ist, die Last auf alle Schultern gleichmäßig zu verteilen. Wie schnell es mit dem „Miteinander“ vorbei ist, zeigt die Klage Italiens gegen Österreich vor dem EuGH wegen Transitbeschränkungen – unterschrieben von der vereinigten Frächter Lobby von Rom bis Oslo – inklusive Österreich. 2025 haben Österreich und Liechtenstein die EUSALP-Präsidentschaft übernommen und die „Zusammenarbeit“ in den Vordergrund gerückt. Diesmal darf auch Kärntens Landeshauptmann Kaiser mitspielen. Dessen größte Qualifikation besteht darin, die Menschen mit blumigen Sprüchen sedieren zu können. Ausgerechnet das „Kolo Wheel“, das älteste bekannte Rad mit Achse, soll als Symbol für die Alpen Transitlawine herhalten. Das war ganz sicher nicht im Sinne der Erfinder. Und wieder wird das „Miteinander“ beschworen. Diesmal für eine nachhaltige Zukunft der Jugend im Alpenraum – die sich allerdings ganz sicher nicht die nächsten 30 Jahre belügen lässt. Nur noch 39 Prozent der Jugendlichen vertrauen der Regierung und 55 Prozent pfeifen auf das Parlament. Politisch vertreten fühlen sich überhaupt nur noch 23 Prozent der Jugendlichen. Gemeinsam wollen die Alpen-Amtsträger dennoch unverdrossen an einer „Transformation“ arbeiten. Wie soll die bezüglich Mobilität ausschauen? Mitdenker haben es sicher schon erraten – weiter wie bisher, aber „angepasst“ an die Verkehrszunahme und an den Klimawandel und natürlich wieder allein auf Kosten der Anrainer. Der „freie Warentransport“ muss, nach Abzug der illegalen und vertrottelten Transporte, endlich im Sinne einer Solidargesellschaft, gerecht auf alle Schultern verteilt werden. Gut, dass die Bürgerrechtsbewegung Transitforum Austria-Tirol auch nach 30 Jahren noch nicht ans Aufgeben denkt. Die Verkehrspolitik schafft die Gemeinschaftsaufgaben nicht.

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