Auf den Zahn fühlen und nachbohren
Quecksilber, ein giftiges Schwermetall, das uns viel Kopfzerbrechen bereitet, ist sprichwörtlich „in aller Munde“. Was Menschen vor dem Hintergrund des Amalgam-Verbotes tun sollen, wenn sie noch quecksilberhaltige Plomben im Mund haben, war eine zentrale Frage von Redakteurin Andrea Hauer an ihren Gesprächspartner Prof. Andreas Schedle im ORF/punkteins. Schedles Vorstellung erinnerte dabei ein wenig an die Performance eines „Medfluencers“.
In einem UBA-„Untersuchungsbericht Mensch und Umwelt“, wurde 2018 festgestellt, Amalgamplomben „können wesentlich zu einer zusätzlichen Belastung des Menschen mit Quecksilber führen.“ Zusätzlich deshalb, weil Quecksilberbelastungen sehr vielfältig auftreten können. Taxativ kann geogener Ursprung, Fische, Verbrennungsanlagen, Lebensmittel, Boden, Bergbau, Gülle und Klärschlamm genannt werden. Wir haben es praktisch mit einem allgegenwärtigen Problem zu tun. Besonders hohe Werte und weit verbreitet ist die Kontamination bei Fischen. Sogar in Alpenseen. Müllverbrennungsanlagen sind ebenfalls eine maßgebliche Quelle für Quecksilber-Emissionen. Rohstoffabbau führt ebenfalls zu Quecksilber-Belastungen. In Deutschland belegen Daten des Umwelt Bundesamtes einen Quecksilber Eintrag über die Luft von 5,4 Tonnen/a auf den Boden. Mehr als die Hälfte davon ist menschlich verursacht. Es ist daher verwunderlich, wenn Prof. Schedle aus wissenschaftlicher Sicht im Hinblick auf mögliche Gesundheitsfolgen, nur einen kleinen Teil der vorhandenen Quecksilber-Belastung beurteilt und als vernachlässigbar einstuft. Hauers Gesprächspartner hat die Wirkungskumulation völlig außer Acht gelassen.
In der japanischen Küstenstadt Minamata, begann vor 68 Jahren eine dramatische Krankheitsgeschichte, die bis heute andauert und spätestens seit dem Müllskandal im Görtschitztal 2014, wie ein Damoklesschwert auch über Österreich schwebt. Meerestiere, die Hauptnahrungsquelle der Bewohner, wurden in Minamata durch Industrieabwasser mit Quecksilber vergiftet. Die Einheimischen wurden in der Folge sehr krank und schwer behindert. Erst 1968 anerkannte die japanische Regierung die kollektive Vergiftung der Menschen. Seither steht die Minamata-Krankheit synonym für ein unvorstellbares Leiden. Noch immer kämpfen ca. 1400 hochbetagte Opfer um Anerkennung ihrer Krankheit und die Durchsetzung der Entschädigungsansprüche. Angehörige verstorbener Opfer und Hilfsorganisationen halten die Erinnerung wach. Gerade aktuell wird eine neue Untersuchung der ganzen Region gefordert, um den derzeitigen Stand des Krankheitsverlaufes feststellen zu können. 2013 wurde in Genf die „Minamata Convention on Mercury“ gegründet. 151 Länder, darunter auch Österreich, nehmen inzwischen daran teil. Das globale Abkommen soll dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den schädlichen Quecksilber Auswirkungen dienen. 2023 wurde u.a. die schrittweise Reduzierung von Dentalamalgam beschlossen (https://www.unep.org/news-and-stories/press-release/minamata-convention-cop-5-takes-crucial-steps-its-mission).
Österreich pflegt, trotz nachgewiesener Belastungen durch Quecksilber in Fischen und bei der Müllverbrennung, einen lockeren Zugang zum Thema. Wie der letzte Minamata Report 2023 zeigt, existiert das Quecksilberproblem für Österreich praktisch nicht. Ob das nur an den Melderegeln oder an fehlender Sensibilität liegt, kann ich nicht beurteilen. Wenn jedoch „Medfluencer“ als Berater im zuständigen Ministerium mitreden, müssen Informationen und gültige Regelungen mit Vorbehalt zur Kenntnis genommen werden.